Kommentar

Der Sonderweg der Schweiz im Klimaschutz führt in die Irre

Die Schweiz lagert einen immer grösseren Teil des Klimaschutzes in arme Länder aus. Diese Politik ist bequem, birgt aber grosse Risiken.

David Vonplon 264 Kommentare 5 min
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Im fernen Bangkok macht die Schweiz vorwärts mit dem Klimaschutz. Innerhalb von nur 18 Monaten hat die Stiftung Klik im Auftrag der Treibstoffimporteure 2000 Elektrobusse auf die Strasse gebracht. Sie lösen die mit Diesel und Erdgas betriebenen Fahrzeuge eines privaten Verkehrsunternehmens ab, das diverse Buslinien in Thailands Kapitale betreibt. Allein aus Nächstenliebe geschieht die klimapolitische Entwicklungshilfe nicht: Jeder E-Bus, der durch Bangkok rollt, bessert die CO2-Bilanz unseres Landes auf. In scharfem Kontrast dazu steht die Situation in der Schweiz: Die Elektrifizierung des Busverkehrs kommt nicht vom Fleck. Ende Jahr waren gemäss der Schweizerischen Post nicht mehr als ein paar Dutzend umgerüstete E-Postautos unterwegs.

Politisch ist dies so gewollt. Indem die Schweiz ihre Emissionen im Ausland reduziert und anrechnen lässt, gewinnt sie Zeit für den Ausstieg aus fossilen Energien im Inland. Zumindest in der Theorie geht diese Rechnung auf: Dem Klima ist es grundsätzlich egal, wo CO2 eingespart wird – ob hier in der Schweiz oder sonst wo auf dem Planeten. Zudem können Treibhausgase in Schwellen- und Entwicklungsländern oft kostengünstiger reduziert werden. Obwohl die Schweiz das einzige Land ist, das seine Klimaschutzmassnahmen in grossem Stil im Ausland durchführt, verstösst sie damit nicht gegen internationale Verträge: Das Pariser Abkommen erlaubt die Auslagerung eines Teils des Klimaschutzes ausdrücklich.

Thailand ist nur der Anfang. Mit elf Ländern hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bereits Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, die die Kompensation von CO2-Tonnen regeln. Geplant sind zum Beispiel die Installation von Solaranlagen in Vanuatu und Ghana, die Umwandlung von Sammeltaxis in Solarbusse in Senegal, die Verteilung von Sparkochern in Peru und die Sanierung von Gebäuden in Georgien. Man wolle «die tief hängenden Früchte» ernten, erklärte Bundesrat Albert Rösti in der zurückliegenden Frühjahrssession im Parlament. Gemeint sind damit Klimaschutzmassnahmen, die mit wenig finanziellem Einsatz eine möglichst grosse Wirkung erzielen.

Viele CO2-Zertifikate halten nicht, was sie versprechen

Man sollte sich aber nichts vormachen: Der Schweizer Sonderweg birgt erhebliche Risiken und Nebenwirkungen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass ein grosser Teil der Zertifikate aus Klimaprojekten in ärmeren Ländern nicht hält, was er verspricht. Und die eingesparten CO2-Tonnen häufig nur auf dem Papier bestehen. Vergangenes Jahr hat die Wissenschaftszeitschrift «Science» eine Analyse publiziert, die zum Schluss kommt, dass zum Beispiel Waldschutzprojekte meist völlig wirkungslos sind. Von 26 Projekten erreichte nur gerade ein einziges die zuvor angekündigte Klimaschutzwirkung. Und vor zwei Monaten doppelte eine weitere Studie nach, die in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlicht wurde. Sie wies nach, dass der Klimaeffekt durch effiziente Spar- und Solarkocher bei den meisten Projekten in ärmeren Ländern massiv überschätzt wird.

Gewiss, die Projekte, die im Auftrag des Bundes realisiert werden, müssen strengeren Richtlinien genügen als freiwillige Kompensationen von Unternehmen – und sie werden auch besser überwacht. Waldschutzprojekte etwa bleiben beim Kompensationsprogramm des Bundes von Beginn weg ausgeschlossen, weil sie auf wackligen Prognosen beruhen. Trotzdem gerieten auch die Vorzeigeprojekte des Bundes wiederholt in die Kritik – von den Medien, aber auch von ETH-Forschern und Entwicklungsorganisationen wie Alliance Sud, Caritas und Fastenaktion.

Die Kritiker ziehen in Zweifel, dass die Projekte des Bundes das Kriterium der Zusätzlichkeit erfüllen. Gemeint ist damit, dass nur Zertifikate für Projekte ausgegeben werden dürfen, wenn sie ohne ausländische Hilfe nicht realisiert worden wären. In Thailand zum Beispiel gibt es konkrete Hinweise darauf, dass die Busbetreiber ihre Fahrzeugflotte ohnehin elektrifiziert hätten – auch ohne die Hilfe der Schweiz.

Die Schweizer Behörden müssen die Kompensationsprojekte deshalb ganz genau durchleuchten. Denn wenn sich herausstellt, dass die Projekte nicht halten, was sie versprechen, könnte der Ruf des Landes Schaden nehmen. Bereits heute sind vermehrt Stimmen zu hören, die der Schweiz auch beim Klimaschutz Rosinenpickerei vorwerfen.

Die schiere Menge an Zertifikaten, die die Schweiz gemäss Gesetz bis 2030 zukaufen muss – laut Bundesrat für 40 Millionen Tonnen CO2 –, macht es zudem schwierig, die Kompensationsprojekte seriös auszuwählen und zu überwachen. Davor warnen Fachpersonen, die bereits heute im Auftrag des Bundes Zertifikate beschaffen. Zumal solche Projekte – man denke etwa an die Installation und Wartung von Biogasanlagen auf landwirtschaftlichen Betrieben in Malawi – nicht von heute auf morgen realisiert werden können.

Kommt hinzu, dass mit dem Pariser Abkommen auch die Partnerländer der Schweiz ihre Klimaziele konkretisieren müssen. Es ist naheliegend, dass diese Länder die «tief hängenden Früchte» selbst pflücken wollen. Für die Schweiz heisst das: Es wird immer schwieriger werden, an Zertifikate zu gelangen – und immer kostspieliger.

Klimaschutz jenseits der Komfortzone

Die grosszügigen Kompensationen im Ausland machen es indes möglich, dass in der Schweiz ein Klimaschutz praktiziert werden kann, der die Komfortzone der Menschen nicht tangiert. Exakt diesen Geist atmet das im März verabschiedete CO2-Gesetz für die Periode bis 2030. Es enthält im Wesentlichen bloss bereits bestehende Massnahmen, die weitergeführt werden – etwa das Programm von Bund und Kantonen zur Gebäudesanierung, die Förderung erneuerbarer Energien und Vorgaben für Autoimporteure.

Von einer Erhöhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe zum Heizen dagegen sah das Parlament ebenso ab wie von einer schärferen Regulierung für den Verkehr. So machte es keine Anstalten, das Fliegen auch nur im Ansatz zu beschränken, obwohl es den Schweizer Klima-Fussabdruck enorm in die Höhe treibt. Es besteht neu einzig die Pflicht, dem Kerosin künftig einen Anteil «erneuerbaren» Treibstoff beizumischen.

Auch der Strassenverkehr, der für etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wird weitgehend geschont. Auf Benzin und Diesel wird weiterhin keine Lenkungsabgabe erhoben. Eine Massnahme, die die Treibstoffe leicht verteuert hätte, fand im Parlament keine Zustimmung. In der Schlussphase der Debatte fiel dann auch noch die Förderung der Ladeinfrastruktur für E-Autos aus der Vorlage sowie eine Reduktion der Schwerverkehrsabgabe für fossilfrei angetriebene Nutzfahrzeuge.

Man kann diese Politik als maximal pragmatisch bezeichnen – oder einfach als mutlos. Nach dem Schiffbruch des CO2-Gesetzes von Simonetta Sommaruga im Jahr 2021 scheuen sich die Politiker davor, neue und höhere Abgaben zu beschliessen. Um nicht eine weitere Niederlage an der Urne zu riskieren, betreibt man Klimaschutz lieber im Ausland.

Doch die Bevölkerung hat im vergangenen Sommer mit 60 Prozent der Stimmen Ja gesagt zu einer Vorlage, die strenge Klimaziele und Milliardensubventionen für die Dekarbonisierung vorsieht. Die Abhängigkeit vom Ausland in der Klimapolitik sollte deshalb begrenzt werden. Setzt die Politik weiter auf Kompensationen im Ausland statt auf griffige Massnahmen im Inland, entfernt sie sich immer weiter von den gesetzlich verankerten Zielen. Will sie diese einhalten, werden die Einschnitte in der Zeit nach 2030 umso schmerzhafter sein.

Die Schweiz muss in der Klimapolitik deshalb einen Gang höher schalten. Seit der Abstimmungsniederlage 2021 heisst das Mantra von Bundesrat und Parlament, dass der Klimaschutz im Inland möglichst wenig spürbar sein darf. Damit muss endlich Schluss sein. Wer aufgrund seines Lebensstils viel CO2 ausstösst, soll dafür zahlen müssen. Im Gegenzug soll klimafreundliches Verhalten belohnt werden. Möglich ist das nur, wenn ein umfassendes Lenkungssystem für fossile Energien eingeführt wird, das alle Lebensbereiche einschliesst, so etwa auch die Fliegerei. Werden die Einnahmen aus den Lenkungsabgaben in vollem Umfang zurückerstattet, kann damit verhindert werden, dass sie als Klimasteuer wahrgenommen werden.

Mit Gerhard Pfister (Mitte) und Thierry Burkart (FDP) machen sich zwei Parteipräsidenten derzeit für ein solches Instrument stark. Es ist zu hoffen, dass sich ihre Idee in der Politik durchsetzen wird.

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Horst Kruse

Geld für Klimaschutz zu verlangen, ist Betrug. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Klimaschutzmassnahmen das Klima wirksam schützen oder schon nur zielgerichtet beeinflussen können (1). Ganz besonders offensichtlich ist dieser Betrug hinsichtlich des schweizer Klimaschutzes. Selbst wenn die Schweiz vom Erdboden verschwände und kein einziges Gramm Kohlendioxid von der Schweiz mehr emittiert würde, würde dies keinen massgeblichen Einfluss auf die CO2-Bilanz in der Atmosphäre haben. Viel zu klein ist die Schweiz, viel zu gross sind das Bevökerungs- und Wirtschaftswachstum in Afrika und Asien. Die Unwirksamkeit schweizerischer Klimaschutzmassnahmen ist unwiderlegbar und unübersehbar. Ich verstehe nicht, warum man auf diese dreiste und dumme Betrugsmasche hereinfällt und sein Geld dafür hergibt. Der Klimaschutz selbst führt in die Irre! _____ (1) Schon nur weil die behauptete Wirkung weit in der Zukunft liegt und genau darum hier und jetzt unmöglich nachweisbar ist. Das klassische Versprechen eines Betrügers.

A. H.

Der Titel müsste realistischerweise heissen: "Der Sonderweg Europas und der Schweiz führt in die Irre". Denn es ist praktisch nur Europa (ohne die Russen und Teile Osteuropas) das diesen Klimairrsinn noch stringent und mit unrealistischen CO2 Zielen, umsetzt. Indem das Volk devot einem unrealistischen CO2 Gesetz zugestimmt hat, hat es sich freiwillig in die Hände der Klimabürokraten ausgeliefert, die es spätestens ab 2030 mit noch nicht antizipierten massiven Verboten und neuen Steuern und Abgaben drangsalieren wird. Weil wir angeblich unsere CO2 Reduktions-Ziele verfehlt haben...  Die Zielkonflikte in den Staatshaushalten und die Ausblutung des Mittelstandes ob der wahren, statistisch nicht gezählten Inflation und der Inflation an neuen Steuern, Abgaben und Verboten, wird uns zerreissen! Allein die stringente Umsetzung der Klimaziele wird bis 2040/50 geschätzte 40% mehr Staatsschulden vom BIP aufladen! (IWF). Gleichzeitig zwingen uns die Russen zur massiven Aufrüstung unserer Armeen und zur Rückerstattung einer massiven Friedens-Dividende, die längst aufgebraucht ist.  Wenn Trump wiedergewählt wird, was sich immer mehr abzeichnet, wird auch die USA eine 180 Grad Wende in der Klimapolitik machen und die komparativen Vorteile für sich einstreichen. Gleichzeitig fährt das noch freie Europa ungebremst gegen die Wand! Die De-Industrialisierung Deutschlands ist in vollen Gang! Die Klimapolitik Europas ist schon heute gescheitert und wir fahren mit im Zug in den Abgrund!

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