Bürger und Bürgerinnen am Limit: So kann der Bund Milliarden einsparen

Der Bund lebt über seine Verhältnisse, Milliardenlöcher tun sich auf. Einsparungen werden weh tun, sind aber möglich. Wo man ansetzen könnte, ohne die Zukunft aufs Spiel zu setzen.

Christoph Eisenring 7 min
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Die Aussichten für die Bundesfinanzen sind nicht rosig, sondern dunkelrot.

Die Aussichten für die Bundesfinanzen sind nicht rosig, sondern dunkelrot.

Anthony Anex / Keystone

Eine 13. AHV-Rente ist toll, aber sie soll bitte nicht aus dem eigenen Portemonnaie finanziert werden. Das sagen die Bürgerinnen und Bürger laut einer Umfrage der «NZZ am Sonntag». Sparen solle man bei der Entwicklungshilfe und der Armee, fordert etwa die Hälfte der Befragten. Selbst ohne zusätzliche AHV-Rente gerät der Bundeshaushalt jedoch in eine Schieflage. Dem Bund fehlen ab 2025 für ein ausgeglichenes Budget 2 bis 4 Milliarden Franken.

Auch viele bürgerliche Politiker finden Sparen nur so lange gut, wie es nicht die eigene Klientel trifft. So sorgen die vielen Bauernvertreter im Parlament dafür, dass die Landwirtschaft bisher praktisch ungeschoren davonkommt, obwohl sie auf der Welt mit Ausnahme Norwegens nirgends so stark unterstützt wird. Und die Präsidenten der Eidgenössischen Technischen Hochschulen sagen, der Bund spiele mit der Zukunft der Schweiz, weil sie 100 Millionen Franken weniger als geplant zur Verfügung hätten.

Nie und nimmer könne man die Finanzlöcher allein mit Einsparungen stopfen, wird aus Bundesbern beteuert. Die NZZ versucht es trotzdem und leitet ihre Sparvorschläge aus drei Prinzipien ab:

  1. Ein besonderes Augenmerk gilt denjenigen Bereichen, die seit 2007 besonders gewachsen sind.
  2. Verzichten kann man eher auf staatlichen Konsum als auf Investitionen, von denen auch nachfolgende Generationen etwas haben.
  3. Die Ausgaben für die Sozialversicherungen werden hier erst einmal ausgeklammert. Nicht, weil es da keinen Reformbedarf gäbe, sondern weil es hier um relativ kurzfristig machbare Einsparungen gehen soll. Ebenfalls verschont von Kürzungsvorschlägen wird die Armee. Das Gros der Politiker ist sich einig, dass das Militär während Jahren vernachlässigt wurde und jetzt zusätzliche Mittel erhalten soll.

Bildung und öV wachsen stark

Ausgewählte Bundesausgaben in Milliarden Franken
2022
2007

1. Kostendeckung im öffentlichen Verkehr erhöhen

Die Ausgaben für den öffentlichen Verkehr haben von 2007 bis 2022 um 60 Prozent auf 7,2 Milliarden Franken zugenommen. Dieser Anstieg ist doppelt so stark ausgefallen wie derjenige des Bruttoinlandproduktes.

Gewiss, vom Erhalt und Ausbau der Infrastruktur profitieren auch nachfolgende Generationen. Nun hat das Parlament den Bundesrat bei den Investitionen aber in der Frühlingssession sogar noch um 350 Millionen Franken übertrumpft. Es kann auch des Guten zu viel sein.

Der Regionalverkehr ist heute hoch defizitär. Der Kostendeckungsgrad liegt im Schnitt lediglich bei 50 Prozent. Ohne Subventionen würden die Billette also doppelt so viel kosten. Von 1586 Regionallinien kommen 330 – also jede fünfte – nicht einmal auf eine Kostendeckung von 20 Prozent.

Von den ungedeckten Kosten über jährlich 2 Milliarden Franken trägt der Bund 1,2 Milliarden Franken. Wenn man einen Deckungsbeitrag durch die Kundinnen und Kunden von 70 statt 50 Prozent fordern würde, was immer noch eine kräftige Subvention darstellte, könnte der Bund rund eine halbe Milliarde Franken sparen.

2. Moderate Erhöhung der Studiengebühren

Auch die Ausgaben für Bildung und Forschung sind in den letzten 15 Jahren doppelt so rasch gestiegen wie die Schweizer Wirtschaftsleistung. Sie machen mittlerweile 7,9 Milliarden Franken aus und sind somit nach den Sozialversicherungen und dem Verkehr der drittgrösste Bereich.

Als der Bund im Januar angekündigt hat, 100 Millionen Franken weniger an die beiden ETH in Zürich und Lausanne zu überweisen als ursprünglich geplant, gab es von den beiden Universitätspräsidenten geharnischte Reaktionen – obwohl das Wachstum in diesem Bereich über die letzten Jahre stupend war.

Eine Möglichkeit wäre, die grössten Nutzniesser der ETH – nämlich die Studierenden – etwas stärker in die Pflicht zu nehmen als bisher. Derzeit zahlen sie rund 1500 Franken Gebühren pro Jahr. Würde man diesen Betrag auf 5000 Franken erhöhen, führte dies zu zusätzlichen Einnahmen von 100 Millionen Franken. Ein Master-Abschluss (5 Jahre) wäre dann mit 25 000 Franken immer noch sehr günstig. Allfällige Härten könnten über Studienkredite abgefangen werden.

Der Bund überweist zudem rund 850 Millionen Franken pro Jahr an die kantonalen Universitäten. Gemessen an den universitären Einnahmen machen die Studiengebühren heutzutage gerade einmal 3 Prozent aus. Auch die Kantone könnten somit ihre Studiengebühren massvoll erhöhen. Sie liegen im Schnitt bei 1600 Franken pro Jahr. Laut einer Schätzung des Beratungsbüros BSS würde eine Erhöhung der Studiengebühren um 2000 Franken die Einnahmen von Universitäten und Fachhochschulen um 220 Millionen Franken steigern.

Könnte der Bund seine Transfers an die Kantone um 200 Millionen verringern und die Einnahmen für die beiden ETH um 100 Millionen Franken steigern, würde dies zusammen das Budget um 300 Millionen entlasten.

3. Ukraine-Hilfe und Kohäsionsgelder kompensieren

Die Umfrageteilnehmer möchten bei der Entwicklungshilfe sparen. 2022 hat die Schweiz dafür 3 Milliarden Franken eingesetzt. 2007 waren es erst 2 Milliarden gewesen.

Der Nutzen von Entwicklungshilfe ist allerdings umstritten. Der Nobelpreisträger Angus Deaton sagt, dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Schaffung der richtigen Institutionen nur ohne die Einmischung der Geberländer möglich sei. Dagegen haben die Nobelpreisträger Esther Duflo und Abhijit Banerjee gezeigt, dass gezielte Interventionen etwas bringen können.

Soll die Entwicklungshilfe etwa so stark steigen wie die Wirtschaftsleistung und damit die Wirtschaftskraft des Geberlandes, was keine unplausible Vorgabe scheint, wäre diese seit 2007 um 650 Millionen statt um 1 Milliarde Franken gestiegen. Somit könnte man 350 Millionen Franken einsparen.

Schwierig wird es, dieses Potenzial anzuzapfen, wenn die Regierung die Kohäsionsbeiträge an ärmere Länder der EU erhöhen würde, die in der Verhandlungsmasse mit Brüssel über ein neues Abkommen sind. Derzeit sind es 130 Millionen pro Jahr.

Dazu kommt die Absicht von Aussenminister Cassis, dass die Schweiz der Ukraine beim Wiederaufbau kräftig unter die Arme greift. Die Rede ist von 400 Millionen Franken pro Jahr.

Will die Schweiz ein solches Zeichen setzen, könnte sie für zehn Jahre eine «Solidaritäts-Abgabe» für die Ukraine von 0,1 Prozentpunkten der Mehrwertsteuer erheben, was 300 Millionen einbrächte. Die Mehrwertsteuer wurde allerdings in letzter Zeit bereits angehoben und wird zur Finanzierung der 13. AHV-Rente wohl weiter steigen. Immerhin: Ein solcher Beschluss müsste dem Volk vorgelegt werden.

Das Fazit lautet also, die Entwicklungshilfe zu bremsen: Sie ist die vergangenen 15 Jahre im Vergleich zur Wirtschaftskraft zu schnell gewachsen. Darin müssten auch allfällige Kohäsionszahlungen Platz haben. Und wenn man der Ukraine mit Milliarden helfen will, dann muss dazu das Volk das letzte Wort haben.

4. Weniger Geld für weniger Bauernbetriebe

Die Bauern verweisen darauf, dass die Ausgaben für die Landwirtschaft seit 2007 praktisch konstant geblieben sind, während die Staatsausgaben insgesamt um einen Drittel zugenommen haben. 3,6 Milliarden Franken lässt sich der Bund die Landwirtschaft jedes Jahr kosten. Dazu kommen noch überhöhte Preise, die die Konsumenten wegen des Grenzschutzes berappen müssen.

Der Bundesrat möchte die Landwirtschaftsausgaben linear um 2 Prozent kürzen, doch bereits diese kleine Reduktion hat den Schweizer Bauernverband in Rage gebracht. Dabei findet man gute Argumente für eine Reduktion. Die Zahl der Bauernbetriebe hat von 2007 bis 2022 um 22 Prozent abgenommen, die Zahl der Beschäftigten im primären Sektor um 14 Prozent. Pro Betrieb bzw. Arbeitskraft wird somit immer mehr Geld verteilt. Wollte man die Unterstützung pro Betrieb im Schnitt real konstant halten, könnte man rund 10 Prozent oder 360 Millionen Franken einsparen.

Eine solche Kürzung dürfte die Bauern auf die Barrikaden bringen. Oder gibt es vielleicht einen Ausweg? Der Bauernverband schreibt: «Es darf nicht sein, dass immer höhere Finanzlücken sich in Sparprogrammen beim Agrarkredit niederschlagen. Sonst sind zwingend auch die Anforderungen an die Landwirtschaft zu reduzieren bzw. die vielen Vorgaben und Auflagen zu lockern.» Das wäre der bessere Weg: mehr unternehmerische Freiheiten, weniger Vorgaben, aber auch weniger Subventionen.

5. Kultur und Standortförderung: 10 Prozent einsparen

Kleinvieh macht auch Mist, sagt der Volksmund. Das gilt auch für staatliche Sparprogramme, wenn man von den grossen Kategorien in die Niederungen der Einzelposten geht. Die Kultur, inklusive Unterstützung für Sport und Medien, lässt sich der Bund jährlich gut 600 Millionen Franken kosten. Und für die Standortpromotion sollen im Schnitt 162 Millionen Franken pro Jahr ausgegeben werden. Dazu gehört etwa die Tourismus- und die Exportförderung.

Nicht berücksichtigt ist dabei, dass die Hotellerie bereits von einem verminderten Mehrwertsteuersatz von 3,8 Prozent profitiert, womit sie jährlich um 180 Millionen Franken entlastet wird. Aus ordnungspolitischer Sicht sind solche Ausgaben fragwürdig, ein «Marktversagen» ist hier nicht ersichtlich. Würde man nun bei Kultur und Standortförderung je zehn Prozent einsparen, wären dies immerhin gut 75 Millionen Franken, bei 20 Prozent sogar 150 Millionen pro Jahr.

6. Löhne beim Bund an Privatwirtschaft angleichen

Direkt beeinflussen kann der Bund schliesslich, wie viel Personal er anstellt und wie er dieses bezahlt. Der Personalaufwand ist von 2007 bis 2022 um ganze 36 Prozent auf 6,1 Milliarden Franken gestiegen. Derzeit zählt der Bund in Vollzeitäquivalenten gerechnet 38 600 Stellen. Das Institut für Schweizerische Wirtschaftspolitik schätzt, dass die Löhne beim Bund für vergleichbare Qualifikationen um 12 Prozent höher sind als in der Privatwirtschaft. Würde der Bund nur schon diesen Vorsprung beseitigen, liessen sich 700 Millionen Franken einsparen.

Zählt man alle erwähnten Einsparungen zusammen, kommt man auf 1,5 bis 2,5 Milliarden Franken. Um bis zu 4 Milliarden zu erreichen, müsste man die Bundesfinanzen noch genauer durchleuchten, was derzeit eine Expertengruppe macht.

Nötig sind zudem drei weitere Massnahmen: Das Ausgabenwachstum von der geringeren Basis aus müsste sich gegenüber den letzten Jahren deutlich verlangsamen. Zweitens müsste man die Aufgaben zwischen Bund und Kantonen noch stärker entflechten und dabei dem Subsidiaritätsprinzip Geltung verschaffen, was zu geringeren Ausgaben des Bundes führen würde. Und drittens sollten Reformen bei den Sozialversicherungen aufgegleist werden, die mit Abstand der grösste Ausgabeposten ausmachen.

Gegen jede der vorgeschlagenen Einsparungen wird sich Opposition formieren. Klar ist aber auch, dass kosmetische Massnahmen nicht genügen werden angesichts der Milliardenlücken. Sparen bedeutet nicht bloss, etwas weniger schnell zu wachsen, sondern die Ausgaben in einem ersten Schritt absolut zu reduzieren. Wenn man alles ablehnt, bleibt am Schluss nur, was die Wähler am meisten fürchten: markant höhere Steuern.

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