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Kernfusion: Ein Traum, der beflügelt

Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 102“ im Online-Nebelspalter vom 26. Februar 2024 zu lesen.

Seit mehreren Jahrzehnten versuchen Forscher einen neuen Reaktortyp zu entwickeln, mit dem Energie so erzeugt werden kann, wie das in der Sonne geschieht. Bei einem solchen Kernfusionsprozess entsteht aus der Verschmelzung von Atomkernen bei sehr hohen Temperaturen eine ungeheure Menge an Energie. Ob es allerdings je gelingen wird, diese klimaneutrale und sichere Energieform auf unserem Planeten kommerziell zu nutzen, steht noch in den Sternen.

Was wichtig ist:

– Ende 2023 gelang es in der europäischen Fusionsenergieanlage JET in einer 5,2 Sekunden langen Plasmaentladung eine Wärmeleistung von 69 Megajoule zu erzeugen – mehr als jemals zuvor.
– Für die Erzeugung waren nur zwei Milligramm Brennstoff nötig – zehn Millionen mal weniger als wenn dieselbe Leistung durch das Verbrennen von Kohle erzeugt würde.
– Wenn aber in der weltweit erfolgreichsten Fusionsanlage erst so wenig Energie für so kurze Zeit produziert werden kann, zeigt das, wie weit wir noch vom Ziel einer wirtschaftlichen Nutzung entfernt sind. 

1973 beschlossen die Mitglieder der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom ein gemeinsames Projekt zur Realisierung der Kernfusion. 1977 wurde Culham in England als Standort festgelegt und mit dem Bau begonnen. Am 25. Juni 1983 nahm dort der «Joint European Torus» (JET) seinen Betrieb als experimentelle Fusionsanlage offiziell auf. Seither haben über 30 europäische Forschungseinrichtungen JET als zentrale Einrichtung des europäischen Fusionsprogramms genutzt (siehe hier).

JET-Erfahrungen nützen beim zukünftigen Reaktor ITER

Bei einer Kernfusion werden zwei leichtere Wasserstoff-Atomkerne zu einem schwereren Helium-Kern verschmolzen. Das ist nur bei extrem hohen Temperaturen über 100 Millionen Grad und genügend hohem Druck möglich. Das Hauptproblem dabei ist, wie diese heisse Masse von ihrer Umgebung isoliert werden kann, damit sie sich nicht abkühlt. Bei der JET-Anlage geschieht das mit dem sogenannten Magneteinschlussverfahren. Dabei wird eine Wolke aus heissem ionisierten Brennstoff (Plasma) in Form eines Donut in einem Käfig aus Magnetfeldern eingeschlossen.

Das folgende Bild zeigt das donutförmige Innere des JET-Reaktors, in dem das Plasma durch extreme Erwärmung erzeugt wird:

Quelle: UK Atomic Energy Authority / EUROfusion

Das EUROfusion-Konsortium, in dem Fusionslaboratorien aus ganz Europa zusammengeschlossen sind (siehe hier), startete im September 2023 in dieser JET-Anlage eine letzte ambitionierte Versuchskampagne, weil JET Ende 2023 stillgelegt wurde. Das Ziel der Kampagne bestand darin, die bisherigen Erfahrungen aus kleineren europäischen Versuchsanlagen im grösseren Massstab zu testen und damit den Weg zu ebnen für zukünftige Fusionsanlagen – insbesondere für das grösste geplante Projekt ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor), das seit 2007 in Südfrankreich im Bau ist.

Riesige Mengen an Wärmeenergie ohne Treibhausgase

JET ist ausserdem der ideale Vorläufer für ITER, weil beide mit einem Deuterium-Tritium-Brennstoff arbeiten können. Deuterium und Tritium sind zwei schwere Varianten des Wasserstoffs, mit denen die höchste Reaktivität aller Fusionsbrennstoffe erreicht werden kann. Bei einer Temperatur von 150 Millionen Grad Celsius verschmelzen Deuterium und Tritium zu Helium. Dabei werden gewaltige Mengen an Wärmeenergie freigesetzt, ohne dass dabei Treibhausgase entstehen. Dieser Prozess der Kernfusion ist inhärent sicher, weil er keine nukleare Kettenreaktion in Gang setzen kann. Zudem erzeugt er keine langlebigen Abfälle.

In einer längeren Reihe erfolgreicher Versuche konnten die Forscher im JET am 3. Oktober 2023 sogar einen neuen Weltrekord aufstellen: Es gelang ihnen, einen fünf Sekunden langen sogenannten Puls (eine Plasmaentladung) mit einer Energie von 69 Megajoule zu erzeugen (siehe hier). Das ist zwanzigmal mehr als der Ertrag an Fusionsenergie, der im gleichen Monat in der amerikanischen Anlage National Ignition Facility (NIF) erzeugt wurde (siehe hier) – der bisher erfolgreichsten Anlage, die nicht mit dem System des Magneteinschlusses arbeitet, sondern versucht, die Isolation des heissen Plasmas durch eine sogenannten Laserfusion zu lösen.

Mit den 69 Megajoule der JET-Anlage wurden aber vor allem frühere Rekorde übertroffen, die alle ebenfalls am JET aufgestellt wurden. Die nächste Grafik zeigt die Leistungsdiagramme der vier Rekord-Pulse, bei denen am JET je ein Brutto-Energiegewinn erreicht wurde.

Quelle: UK Atomic Energy Authority / EUROfusion

Die Grafik zeigt vertikal die Fusionsleistung in Megawatt und horizontal die verstrichene Zeit. Die vier Rekord-Pulse sind farblich nach ihrem Auftreten in drei verschiedenen Versuchs-Kampagnen dargestellt (1997 gab es zwei erfolgreiche Pulse). Dabei fällt auf, dass der Rekord von 22 Megajoule (MJ) aus dem Jahr 1997 24 Jahre lang Bestand hatte. Erst 2021 gelang es den Wissenschaftlern diese Marke zu übertreffen. Zwei Jahre später erzielten sie dann nochmals einen leicht höheren  Rekord.

Grosse Hoffnungen liegen auf dem internationalen Fusionsprojekt ITER

Was bedeutet 69 Megajoule aber praktisch? Umgerechnet in Stromäquivalent sind das 20 Kilowattstunden. Damit könnten zwanzig Waschmaschinen für je eine Stunde betrieben werden. Gemessen am riesigen Aufwand, der bei JET über vierzig Jahre gemacht wurde, ist das natürlich lächerlich wenig. Dies gilt umso mehr, als die 69 Megajoule nicht die Netto-Energie sind: Berücksichtigt man den vollständigen Energieeinsatz, der insbesondere für die Erwärmung nötig war, so liegt die Menge an Energie, den man aus der Fusion zurückbekommen hat, erst bei etwa einem Drittel des Einsatzes.

Der Weg, bis Kernfusion wirtschaftlich betrieben werden kann, ist also noch sehr lang. Einen grossen Schritt in diese Richtung erhofft man sich – wie schon angesprochen – mit dem grossen internationalen Fusions-Projekt ITER (siehe hier). ITER wird von China, der EU, Indien, Japan, Korea, Russland und den USA geplant und finanziell unterstützt. Das Ziel ist, die erfolgreichen Energie-Pulse auf mehrere Minuten auszudehnen, deren Ertrag zu erhöhen und damit schliesslich einen Netto-Energiegewinn zu erzielen.

Allerdings gab es in der Baugeschichte von ITER seit 2007 diverse Rückschläge. Die ursprünglich für das Jahr 2017 angekündigte Eröffnung wurde mehrmals verschoben. Jetzt rechnet man mit dem Beginn des Versuchsbetriebs im Jahr 2025. Allerdings hat die EU im November letzten Jahres das Forschungsbudget für ITER um 120 Millionen Euro gekürzt. Ob es so noch realistisch ist, die gesetzten Ziele zu erreichen, muss sich erst zeigen.

Nichtsdestotrotz verdient der Elan und das Engagement der vielen Fusions-Forscherinnen und -Forscher grossen Respekt. Dies gilt umso mehr, als diese teilweise ihr ganzes Arbeitsleben dafür einsetzen, um eine Energieform zu schaffen, die im Überfluss vorhanden und zudem sauber und sicher ist – obwohl das Ziel noch in weiter Ferne liegt: Die Vorstellung, einmal auf dieser Erde Sonnenfusions-Kraftwerke betreiben zu können, ist offensichtlich ein Traum, der beflügelt.

3 Kommentare zu “Kernfusion: Ein Traum, der beflügelt

  1. Arturo Romer

    Vielen Dank an Prof. Martin Schlumpf für den klaren und gut verständlichen Artikel zur Kernfusion (Reaktion Deuterium-Tritium). Der Leser muss wissen, dass es noch einige Geduld, Forschung und Zeit braucht, bis ein perfekt funktionierender Fusionsreaktor auf dem Weltmarkt käuflich ist. Doch es lohnt sich, in diese Energiequelle Zeit und Geld zu investieren. Die Deuterium-Tritium-Fusion wird sicher, ökologisch, ökonomisch und effizient sein. In unseren Weltmeeren haben wir riesige Mengen von Deuterium. Wenn die Menschheit die Technik der Deuterium-Tritium-Fusion einmal perfekt beherrscht, wird sie nachhaltige Energie für viele Millionen Jahre haben.

  2. Paul kundert

    Hier wird viel viel Geld in Etwas gesteckt, das vielleicht in x Jahren einen Ertrag abwirft. Wobei x auch unendlich sein kann!
    Trotzdem scheint es mir richtig, dass es versucht wird. Und sei es nur, dass sichtbar wird, in den nächsten Jahren bleibt wohl nur die Energiegewinnung mit Atom, Wasser und Erneuerbaren. Und zwar in der s6reihenfolge und nicht umgekehrt.

  3. Johannis Nöggerath

    Es ist absolut richtig, dass diese heisse Masse von ihrer Umgebung isoliert werden kann, damit sie sich nicht abkühlt. Doch ein weiteres gravierendes Problem ist auch, dass das heisse Plasma während seiner Fusionsreaktion weit genug und dauerhaft von den Strukturbauteilen des Reaktors entfernt bleiben muss, da kein Werkstoff der Welt derartigen Prozesstemperaturen widersteht.

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