Kommentar

Von wegen Konsumentenschutz: Die starre Grundversorgung schützt bloss die unfähigen Stromlieferanten

Bevor die Schweiz die Verhandlungen mit der EU überhaupt beginnt, warnen Politiker bereits vor den Folgen eines liberalisierten Strommarktes. Dabei schützt die heutige Grundversorgung nicht die Konsumenten, sondern die Monopolisten.

Christoph Eisenring 71 Kommentare 3 min
Drucken
Ist der Strommarkt zu kompliziert für den Konsumenten, die Konsumentin? Die Politik sieht das so und lehnt eine Liberalisierung ab.

Ist der Strommarkt zu kompliziert für den Konsumenten, die Konsumentin? Die Politik sieht das so und lehnt eine Liberalisierung ab.

Gaëtan Bally / Keystone

Stellen Sie sich vor, Sie dürften nur beim lokalen Bäcker Brot kaufen. Der Bäcker müsste den Preis fürs Pfünderli jeweils einmal pro Jahr von einer eidgenössischen Brotkommission bewilligen lassen. Und selbst wenn in Ihrer Gemeinde das Brot doppelt so teuer wäre wie in der Nachbargemeinde, weil Ihr Bäcker viel mehr für sein Mehl bezahlt hätte als derjenige im Dorf daneben, dürften Sie nicht auswärts einkaufen. Man wäre auf Gedeih und Verderb dem Bäcker am Ort ausgeliefert.

Das ist zum Glück nicht Realität. Jeder kauft sein Brot dort, wo er will, beim Bäcker oder im Supermarkt. Doch es gibt einen Bereich, in dem genau eine solch absurde Situation immer noch als die normalste Sache der Welt angesehen wird: beim Strom. In der Schweiz hat es im Jahr 2009 zwar eine erste Liberalisierungsrunde für industrielle Strombezüger gegeben. Sie können nun ihren Lieferanten frei wählen. Doch seither ist nichts mehr passiert.

Kuschelige Grundversorgung?

Jetzt gibt es im Zug der Verhandlungen mit der EU die Chance, dass Haushalte sowie kleinere und mittlere Unternehmen doch noch zu ihrer Wahlfreiheit kommen. Doch die Wirtschaftskommission des Nationalrates winkt bereits ab: Der Bundesrat solle doch von weiteren Liberalisierungen des Strommarktes absehen; solche Schritte sollten «die Ausnahme von der Regel» bleiben.

Als Konsument hat man auf einen solchen Paternalismus gerade noch gewartet. Unter den 620 Schweizer Netzbetreibern gibt es sehr unterschiedliche Stromtarife, die 2024 von 10 bis 57 Rappen pro Kilowattstunde reichen. Eine Familie, die zum Beispiel in Wetzikon wohnt, zahlt 500 bis 800 Franken mehr pro Jahr als ein Haushalt in Zürich oder einer Nachbargemeinde.

Die Befürworter des heutigen Systems, an vorderster Front die Gewerkschaften, sprechen schon fast kuschelig von der Grundversorgung, die die Konsumenten vor den Marktkräften schütze, die faire und stabile Preise garantiere. Doch das dreckige kleine Geheimnis lautet: Die meisten Schweizer Versorger produzieren gar keinen eigenen Strom, sondern müssen sich diesen am Grossmarkt beschaffen.

Das Gros der Konsumenten ist somit über ihren Versorger sehr wohl am Markt – nur dass ihnen jegliche Wahl versagt bleibt. Die Konsumenten können also ihrem Versorger nicht die Quittung dafür geben, wenn er zum dümmsten Augenblick Strom eingekauft hat oder hohe Kosten für Projekte aus erneuerbaren Energien auf sie überwälzt.

Liberalisierung mit Leitplanken

Unsere Nachbarstaaten sind da weiter und zeigen, dass eine Liberalisierung kein Hexenwerk ist. Wie für Krankenkassen gibt es in Deutschland auch für Strom Vergleichsportale, die neben dem Preis die Kundenzufriedenheit anzeigen und darüber informieren, welche Art Strom ein Produzent verkauft.

Auch wer auf eine Grundversorgung nicht verzichten mag, kommt auf seine Rechnung: Geht etwa der gewählte Stromversorger Konkurs, wird nicht einfach der Stecker gezogen, sondern man rutscht dann in die Grund- oder Ersatzversorgung des jeweils grössten Versorgers am Ort. Dieser Tarif ist meist teurer als die Marktangebote.

Die Eidgenössische Elektrizitätskommission, die den Strommarkt überwacht, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht. Sie schreibt: «Die Grundversorgung dient aktuell eher den Versorgern.» Diese könnten sich gegen tiefe Preise absichern, während sie bei hohen Preisen Gewinnmöglichkeiten besässen.

Die Schweiz möchte mit der EU beim Strom anbandeln, damit es keine ungeplanten Stromflüsse mehr gibt, die unser Netz destabilisieren können. Ein geregeltes Verhältnis würde auch die Versorgungssicherheit unterstützen. Das finden die meisten Politiker gut. Wenn es aber darum geht, dass die Konsumenten neben ihrem Brot auch ihren Strom frei einkaufen können, glaubt die Politik, diese vor den bösen Marktkräften beschützen zu müssen. Dabei wäre der Schritt zur mündigen Konsumentin, zum mündigen Konsumenten längst fällig – ganz unabhängig davon, was man sonst mit der EU aushandelt.

71 Kommentare
Eduard Naepflin

Warum wir für ein Standardprodukt mehr als 800 Lieferanten brauchen ist mir schleierhaft. Aber wahrscheinlich hängt es mit den Verwaltungsratsposten der Politiker zusammen.

Jochen Overberg

Vielen Dank Herr Eisenring, in der Wirtschafts-/Steuerpolitik ist die Schweiz gesamthaft gesehen sicher liberaler und deswegen auch erfolgreicher als die Nachbarlaender. Warum das beim Strommarkt andersherum ist, ueberrascht. Dass SP und Gewerkschaften bremsen ueberrascht weniger, aber warum lassen denn die buergerlichen Parteien dieses Thema links liegen, bei entsprechender Informationskampagne koennte ich mir sehr viel Zuspruch der Bevoelkerung vorstellen? 

Mehr von Christoph Eisenring (cei)

Mehr von Christoph Eisenring (cei)

Weitere Artikel