Gastkommentar

Fertig mit Milliardärs-Bashing! Die Reichsten der Reichen sind besser als ihr Ruf – und das nicht einfach wegen Spenden

Vom Standpunkt der Gesellschaft aus betrachtet leisten die Superreichen ungeheuer viel. Dazu muss man allerdings ein paar gedankliche Hürden überspringen.

Michael R. Strain 110 Kommentare 4 min
Drucken
Elon Musk auf dem Buchcover seiner Biografie, verfasst vom Steve-Jobs-Biograf Walter Isaacson.

Elon Musk auf dem Buchcover seiner Biografie, verfasst vom Steve-Jobs-Biograf Walter Isaacson.

Etienne Laurent / EPA

Seit langem fordert Bernie Sanders, der demokratische Senator des Gliedstaates Vermont, dass es keine Milliardäre geben sollte. 2019 schrieb der selbsterklärte «demokratische Sozialist» in einem Tweet: «Milliardäre sollten nicht existieren. Wir werden ihren extremen Reichtum besteuern und in die arbeitenden Menschen investieren.»

Tatsächlich ist der Slogan «Jeder Milliardär ist ein politisches Versagen» unter amerikanischen Progressiven weit verbreitet. Und in dieser Sache können sie mit Zustimmung von rechter Seite rechnen – gelangen die amerikanischen Populisten und Nationalisten doch zu ähnlichen Schlüssen.

Vor einigen Monaten forderte Steve Bannon, einstiger Chefstratege der Regierung Trump, «massive Steuererhöhungen für Milliardäre». Als Grund gab Bannon an, dass sich die reichsten Amerikaner der «Make America great again»-Parole zu wenig verpflichtet fühlten.

Doch die Rechtspopulisten wie auch die Progressiven liegen falsch: Wir brauchen nicht weniger Milliardäre, wir brauchen mehr.

Nutzen für Konsumenten

Innovative Milliardäre schaffen einen enormen Wert für die Gesellschaft. Der Wirtschaftsnobelpreisträger William D. Nordhaus stellte 2004 in einer Studie fest, dass «nur ein winziger Bruchteil der sozialen Erträge des technologischen Fortschritts» den Innovatoren selbst zugutekomme (etwa 2,2 Prozent). Der Rest, das heisst fast der gesamte Nutzen, gehe an die Verbraucher.

Das Vermögen des Amazon-Gründers Jeff Bezos beläuft sich gemäss dem Bloomberg-Billionaires-Index auf ungefähr 170 Milliarden Dollar. Wenn man die Ergebnisse von Nordhaus hochrechnet, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Bezos mehr als 8 Billionen Dollar an Gegenwert für die Gesellschaft geschaffen hat. Das entspricht mehr als einem Drittel des jährlichen Bruttoinlandproduktes der Vereinigten Staaten.

Der Onlinehandel hat die Preise für viele Konsumgüter gesenkt und Millionen von Menschen eine enorme Zeitersparnis gebracht, weil sie nicht mehr den Weg zu einem Laden auf sich nehmen müssen. Setzt man das mit dem Vermögen ins Verhältnis, hat Bezos nur einen winzigen Teil des gesellschaftlichen Nutzens für sich behalten.

Innovation ist relativ

Natürlich ist nicht jeder Milliardär ein Innovator. Aber dieselbe Logik lässt sich auf Milliardäre in jedem Berufsfeld anwenden. Die Investoren der Wall Street zum Beispiel schaffen Werte, indem sie ihr Kapital effizient in der Wirtschaft verteilen. Im Laufe der Zeit senkt dies die Kosten und fördert Produktivität und Innovation, was wiederum Millionen von Haushalten und Unternehmen zugutekommt.

Zumindest in Amerika sind nicht dynastische Erbschaften, sondern Unternehmertum und harte Arbeit der wichtigste Weg zu neun- oder zehnstelligen Nettovermögen. Etwa drei Viertel der reichsten Familien (oberstes Prozent) besitzen ein eigenes Unternehmen – im Vergleich zu fünf Prozent der Familien in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung. Wobei das Unternehmensvermögen mehr als ein Drittel ihrer Bilanzen ausmacht. Eine Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass etwa sieben von zehn der vierhundert reichsten Amerikaner sich aus eigener Kraft nach oben gearbeitet haben und dass zwei Drittel nicht in wohlhabenden Familien aufgewachsen sind.

Die gute Ungleichheit

Im Grossen und Ganzen funktioniert das System des demokratischen Kapitalismus, gerade auch in den USA, wo es so viele Milliardäre gibt. In einer Demokratie akzeptiert die Gesellschaft ungleiche Marktergebnisse, wenn sie Unterschiede im Arbeitseinsatz, in der Risikobereitschaft oder in den Fertigkeiten widerspiegeln. Sicherlich gibt es Raum für Verbesserungen. Aber anstatt sich auf Milliardäre zu stürzen, sollte man sich darauf konzentrieren, den ärmeren Schichten den Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten zu verschaffen.

Noch grundsätzlicher: Die Verunglimpfung von Milliardären vermittelt jungen Menschen die perverse Botschaft, dass Erfolg schlecht sei. Das kann dazu führen, dass sie ihre Ambitionen zurückschrauben, sich weniger anstrengen, weniger Risiken eingehen. In der Folge könnte eine solche Botschaft – gerade weil sich harte Arbeit nachweislich noch immer bezahlt macht – die Ungleichheit verschärfen. Und damit das Problem, das die Politik des Milliardärs-Bashing angeblich lösen will.

Reiche rufen nach Steuern

Ironischerweise kommen die lautesten Rufe aus Haushalten mit hohem Einkommen. Deren Kinder besuchen jedoch ohnehin gute Schulen und Universitäten, während viele Kinder aus einkommensschwachen Haushalten seltener eine Universität besuchen.

Die autoritäre Rechte will die Macht des Staates nutzen, um die Reichen für ihre mangelnde Loyalität gegenüber der Nation (und in Amerika: Trump) zu bestrafen. Und auch viele aus dem linken Lager wollen den Milliardären Sondersteuern auferlegen. Anstatt Milliardäre als vollwertige Teilnehmer eines gemeinsamen sozialen Unternehmens zu behandeln, werden sie durch solche Vorschläge zu Geldmaschinen degradiert, die es abzubremsen gilt. Das Steuersystem sollte jedoch nicht als Waffe eingesetzt werden, um irgendeine Gruppe zu bestrafen, das gilt auch für die Reichen.

Die Allerreichsten sind Selfmademen

Blickt man auf die zehn reichsten Milliardäre, sind die meisten von ihnen Selfmademen – und Innovatoren, die unser Leben verändert haben: Bill Gates und Steve Ballmer haben die Computerindustrie revolutioniert, Jeff Bezos den Einzelhandel, Larry Page, Sergey Brin und Larry Ellison die Web-Suche und die Datenbanksoftware, Elon Musk die Automobil- und die Raumfahrtindustrie. Mark Zuckerberg ist ein Pionier im Bereich der sozialen Netzwerke. Bernard Arnault ist ein erfahrener CEO und Warren Buffett ein legendärer Investor.

Keiner von ihnen kann auch nur ansatzweise als Beispiel für ein «politisches Versagen» herangezogen werden. Wir sollten uns freuen, dass sie es geschafft haben. Denn die Realwerte, die sie für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt geschaffen haben, übersteigen ihren Besitz bei weitem. Während viele Politiker der Gegenwart den Historikern der Zukunft kaum eine Notiz wert sein werden, dürften einige der Innovatoren Eingang in die Geschichtsbücher finden.

Die Lebensläufe der Erfolgreichen sollten bei jüngeren Generationen Ehrgeiz wecken. Milliardäre sollten nicht abschrecken, sondern als Inspiration gelten. Dies käme nicht nur Einzelnen zugute, sondern allen Mitgliedern jener Gesellschaft, die den grössten Teil der Innovationskraft der Leader der Zukunft ernten wird.

Michael R. Strain ist Direktor für wirtschaftspolitische Studien am American Enterprise Institute. – Aus dem Englischen von Andreas Hubig. Copyright: Project Syndicate, 2023.

110 Kommentare
Manfred Müller

Bei den ganzen emotionalen Sozialneiddebatten bleibt doch immer das Gesetz der großen Zahl aussen vor. So gibt es die Anektode von Baron Rothschild, als dieser seine Bank in Paris betritt und ein Clochard neben dem polierten Messingschild ihn fordernd ansieht mit den Worten "warum ich so arm und Du so reich". Rothschild hält inne und sagt dann völlig verblüffend "Du hast recht, ich teile mein Vermögen durch alle Erdenbürger, hier Dein Anteil 100 sous". Wenn man das Bezos Vermögen, 150Mrd US$ in Liquididät wandeln könnte und der Menschheit zukommen liesse, so bekäme jeder gerademal 20 US$ und könnte davon 2x Pizza essen gehen. Das Geld wäre dem innovativen Investment in den Fortschritt völlig entzogen. Da scheint es sinnvoller den Milliardären ihre Luxusyacht zu gönnen, was letztlich unzählige Arbeitsplätze von der Gestehung bis zum Betrieb generiert. Der Weg vom Tellerwäscher zum Milliardär ist übrigens niemanden verwehrt. Gates, Bezos, Musk, Page, Ballmer, Zuckerberg sind lebende Beispiele, den bereits verstorbenen Apple Gründer Steve Jobs nicht zu vergessen. In der europäischen Neidgesellschaft sind solche Karrieren kaum möglich.

Tobias Suter

Interessant, dass bei diesem Kommetar ¨überhaupt nicht darauf eingegangen wird, was die ganze Entwicklung der Digitalisierung / online Handel an Veränderungen am Arbeitsmarkt gebracht hat. Kein Wort steht da über die vielen prekären Arbeitsverhältnisse, die bei der Logistik hinter dem online Handel, oder beim Lieferservice f¨ür Mahlzeiten, oder bei Uber etc., geschaffen worden sind. Sind solche working poor ein Gewinn für die Gesellschaft? Wäre da nicht ein wenig weniger Gewinn und Vermögen für Bezos, Musk und Konsorten  verständlich? Da stimmt doch irgendetwas beim Geschäftsmodell nicht so ganz.