Von Umweltaktivisten bekämpft, von Brüssel gefördert: CCS-Technologien für den «Grünen Deal»

Das Klimaziel der EU, bis 2050 nur noch netto null Emissionen auszustossen, wird ohne Technologien, die CO2 abscheiden und speichern, wohl nicht erreicht werden können. Jetzt soll es auch mehr Geld und politische Unterstützung aus Brüssel geben.

Kalina Oroschakoff, Brüssel 7 min
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Regierungen kommen zunehmend unter Druck, Emissionen aus dem Industriesektor zu reduzieren und Klimaziele zu erreichen. Dabei wächst das Interesse an CCS-Technologien.

Regierungen kommen zunehmend unter Druck, Emissionen aus dem Industriesektor zu reduzieren und Klimaziele zu erreichen. Dabei wächst das Interesse an CCS-Technologien.

Jan Tepass / Imago

Für Brüssel steht dieser Tage fest: Will die EU ihre Klimaziele erreichen, wird CO2 in den kommenden Jahrzehnten vermehrt abgeschieden, transportiert und gespeichert werden müssen. Die entsprechenden Carbon-Capture-and-Storage-Technologien (CCS) bekommen nun Aufwind. Jahrelang wurden diese Technologien von Umweltaktivisten rhetorisch ausgebremst und standen politisch im Abseits.

Heute sagt die estnische Energiekommissarin Kadri Simson, dass das Klimaziel der EU, ab 2050 nur noch netto null Emissionen in die Luft zu blasen, ohne CCS nicht zu schaffen sei. Vor versammelter Industrie, Regulatoren und Zivilgesellschaft wies sie vergangene Woche in Oslo dabei auf die hauseigene Analyse der Europäischen Kommission hin.

Laut den Hochrechnungen muss die EU bis 2050 zwischen 300 und 640 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr abscheiden und verwerten oder speichern, um ihre Klimaziele zu erreichen. Zum Vergleich: Laut Daten der deutschen Statistikbehörde wurden rund 682 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2020 im EU-weiten Strassenverkehr ausgestossen.

Das Geschäft mit dem Speichern von CO2 beginnt zu boomen – Geld aus Brüssel und pragmatische Nordeuropäer helfen

Beamte arbeiten nun daran, CCS auf die Sprünge zu helfen. Verschiedene Analysen sollen im nächsten Jahr vorgelegt werden, unter anderem darüber, wie eine CO2-Infrastruktur in den 2030er und 2040er Jahren aussehen könnte, verkündete Simson. Sie wies auch darauf hin, dass Investitionen in CO2-Transport und -Speicherungs-Projekte nun mit regulativer Unterstützung rechnen könnten, etwa indem sie von EU-Finanzmitteln profitierten oder von vereinfachten Genehmigungen.

CCS-Industrie-Vertreter drängten derweil an ihrem Branchentreffen in Oslo auf mehr Unterstützung. Sie fordern von Brüssel einen ähnlichen Schub, wie ihn die Wasserstoff-Branche in den vergangenen zwei, drei Jahren erfahren hat. Heute gilt Wasserstoff als eine der strategischen Industrien für ein klimaneutrales Europa und wird entsprechend mit Milliardenhilfen überschüttet.

Während die Branche auf goldene Zeiten hofft, haben viele Umweltaktivisten Sorgen. Sie werfen der Energieindustrie weiterhin vor, die CCS-Debatte dafür zu nutzen, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu bremsen. Jahrelang hatten Umweltschützer dagegen gekämpft, dass CCS genutzt werden kann, um etwa die Kohleindustrie weiter am Leben zu erhalten. Die politische Debatte war entsprechend gefärbt. Aber auch unter den Umwelt-NGO gibt es Bewegung. Einige von ihnen, so etwa die amerikanische Clean Air Task Force, unterstützen heute den Einsatz von CCS-Technologien.

CCS bietet dringend benötigte Lösungen für die Industrie

Das hat viel damit zu tun, dass diese Technologien wohl eine zentrale Rolle dabei werden spielen müssen, die Emissionen der Industrie schnell in den Griff zu bekommen, etwa solche, die bei der Zementherstellung entstehen. CO2 soll mit ihrer Hilfe abgeschieden, verflüssigt und in riesige unterirdische Lager gepumpt werden.

Die Internationale Energieagentur unterstrich erst vergangene Woche wieder, dass die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung notwendig sei, um Netto-Null-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte zu erreichen. Bis 2030 müssten 8 Prozent der globalen Zementemissionen abgeschieden und gespeichert sein. Unterstützende Argumente finden sich auch in dem jüngsten Bericht des Weltklimarats vom April. Die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung sei von entscheidender Bedeutung, um hartnäckige Industrieemissionen wettzumachen, hiess es dort.

Vertreter der CCS-Branche weisen längst auf ihre klimarelevante Rolle hin. Konkrete Ergebnisse konnten sie bislang aber kaum vorweisen. Laut einem Bericht von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) vom vergangenen Monat beläuft sich die Menge an CO2, die heute abgeschieden wird, auf 43 Millionen Tonnen. Das entspricht 0,1 Prozent der weltweiten Emissionen.

Bloomberg New Energy Finance sagte im Oktober voraus, dass sich die weltweite Kapazität für die Kohlenstoffabscheidung bis 2030 gegenüber dem heutigen Stand versechsfachen werde. Dieses «drastische Wachstum» stelle im Vergleich zu den Zahlen im Vorjahr einen 44-prozentigen Anstieg der für 2030 erwarteten Kapazität dar, so BNEF. Mehr als 3 Milliarden Dollar seien allein in diesem Jahr investiert worden.

Dennoch sei der Ausbau nicht ausreichend, um die Klimaziele zu erreichen. Würden alle angekündigten Projekte in Betrieb genommen, würden 2030 jährlich 279 Millionen Tonnen CO2 abgeschieden. Das entspräche gerade einmal 0,6 Prozent der heutigen Emissionen. Im Jahr 2030 müssten dagegen zwischen 1 und 2 Milliarden Tonnen CO2 abgeschieden werden, um das Ziel zu erreichen, die Emissionen bis 2050 auf netto null zu reduzieren.

Heute wird der grösste Teil der Kapazitäten noch dazu verwendet, CO2 aus Verarbeitungsanlagen für Erdgas abzuscheiden. Auch wird CCS bei der Ölgewinnung eingesetzt. Bis 2030 werden weitere Bereiche dazukommen (müssen). Neben dem Stromsektor wird laut BNEF CO2 zunehmend auch bei der Herstellung von kohlenstoffarmem Wasserstoff und Ammoniak abgeschieden und dafür genutzt, Industrieemissionen zu verringern.

CCS sei dabei, seinen schlechten Ruf zu überwinden, indem es vermehrt als ein Instrument zur Emissionsminderung und zur CO2-Lagerung genutzt werde, sagt David Lluis Madrid von BNEF. Gleichzeitig zeichneten sich schon heute grosse Engpässe ab. Der Mangel an CO2-Transport-Infrastruktur und -Speicherstätten in der Nähe von Industrie- oder Stromerzeugungsanlagen etwa sei ein Problem. Aber auch hier gebe es Bewegung. «Wir beobachten eine starke Zunahme dieser Projekte, um den Bedarf zu decken», so Lluis Madrid.

Mehr Geld, mehr Unterstützung, mehr Interesse

Das war auch auf der Konferenz bemerkbar. Die Moderatoren waren stark darum bemüht, Aufbruchstimmung mit der Botschaft zu vermitteln: CCS ist längst keine Schreibtischübung mehr. Ob Transport- oder Speicherinfrastruktur, es wird gebaut, und die Nachfrage wächst. Vor allem in Norwegen, das sich schon heute als Europas CO2-Endlager positioniert.

Dort wird seit 2020 an einem grossindustriellen Multimilliarden-CCS-System gebaut, dem sogenannten Longship-Projekt. CO2 wird dabei von einer Zementfabrik und einer Müllverbrennungsanlage abgeschieden. Im Rahmen des sogenannten Northern-Lights-Projekts, einer Kollaboration zwischen den Unternehmen Equinor, Shell und Total Energies, soll ab 2025 CO2 transportiert werden, um es in den Meeresboden vor der Westküste Norwegens zu pumpen und langfristig in über 2000 Metern Tiefe zu lagern. Norwegische Regierungsbeamte bestehen darauf, dass das Vorgehen sicher sei. Einige Umweltaktivisten dagegen zweifeln, ob CO2 langfristig ohne Gefahren im Meeresuntergrund gelagert werden kann.

Der Energieminister Terje Aasland warb für Norwegen als den idealen Partner für alle, die nach Orten suchten, um ihr CO2 zu lagern. Er forderte dabei Unterstützung aus Brüssel – denn uneigennützig ist das nicht. Ohne weitere Beteiligungen reichen die eigenen Investitionen nicht aus, um einen neuen Markt zu schaffen. Finanzielle Unterstützung für die CO2-Speicherung sei notwendig, um die Profitabilität zu gewährleisten, sagte Aasland, aber nur, bis ein Markt etabliert sei.

Noch gilt: CCS ist teuer und kapitalintensiv, auch wenn die steigenden Preise für Verschmutzungsrechte im EU-Emissionshandel CCS-Technologien somit zunehmend attraktiver machen. Doch die Nachfrage wächst merklich, weitere Projekte seien im Entstehen, so Aasland. Drei Lizenzen für die CO2-Speicherung seien schon vergeben worden. Im September gelang auch ein kommerzieller Durchbruch. Das erste grenzüberschreitende Abkommen wurde mit dem Chemiekonzern Yara unterschrieben. Ab 2025 soll so CO2, das in den Niederlanden angefallen ist, in Norwegen eingelagert werden.

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Nordeuropa baut einen neuen Zukunftsmarkt

CCS-Technologien erfahren auch im restlichen Europa immer mehr Unterstützung. Viele Regierungen sind unter Druck, ihre Industrieemissionen zu reduzieren. Dabei positionieren sich vor allem die Länder im Norden der EU mit Zugang zum Meer und der Möglichkeit, CO2 weit weg von besorgten Bürgern am Meeresgrund zu lagern, wo früher nach Erdgas und Erdöl gebohrt worden war.

Dänemark etwa stellt 5 Milliarden Euro für CCS-Projekte bereit. Belgien plant, CO2 aus industriellen Anlagen in der dänischen Nordsee zu lagern. Regierungsvertreter haben im September eine entsprechende Absichtserklärung unterschrieben. Die Niederlande investieren im Rahmen eines 13-Milliarden-Euro-Subventionsprogramms in den Aufbau und Betrieb von CCS-Anlagen. Schweden und auch Kroatien und Griechenland haben Investitionen im Zusammenhang mit Kohlenstoffabscheidung in ihre nationalen Konjunkturprogramme aufgenommen, wie die Energiekommissarin Simson erklärt hat.

Das Fehlen von Finanzierung, Infrastruktur und Regulierung sei ein Hindernis, stellte Simson vergangene Woche fest. Und versprach mehr Geld, etwa durch den sogenannten Innovationsfonds, der durch den Verkauf von CO2-Gutschriften im EU-Emissionshandel gespeist wird. In den kommenden Wochen werde dieser für förderfähige Projekte insgesamt 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Bei der letzten Runde hätten 11 der für Beiträge aus dem Fonds ausgewählten 24 Projekte etwas mit der Abscheidung und Speicherung oder Nutzung von CO2 zu tun gehabt, sagte sie. «Das sind gute Nachrichten für die Technologie, denn es beweist, dass es viele gute und reife Projekte gibt.»

In Deutschland bleibt die Skepsis gross

In Deutschland, dem grössten Verschmutzer der EU, ist der Vorgang dagegen weiterhin umstritten. «Planet A»-Leser der ersten Stunde mögen sich erinnern: Robert Habeck, der heutige Wirtschafts- und Klimaminister der Grünen, warnte noch im Jahr 2020 davor, dass «die grosse Gefahr einer CCS-Debatte» doch die sei, «dass sie all jenen in die Hände spielt, die es mit einem schnellen Ausstieg aus den Fossilen doch nicht ernst meinen». CO2 unterirdisch zu speichern, bleibt für viele erst einmal undenkbar. Die deutsche Angst vor dem Untergrund wurde auch auf der Konferenz spitz angemerkt.

Sie hat ein gewisses Geschmäckle. Denn deutsche Politiker haben kein Problem damit, das heimische CO2 in anderen europäischen Ländern, allen voran Norwegen, in der Versenkung verschwinden zu lassen. Schon heute wird an entsprechenden Plänen geschmiedet. Deutsche Energieunternehmen arbeiten daran, sich auf diese Weise einen möglichen Marktvorteil zu sichern. Im August erst hat beispielsweise Wintershall einen Zuschlag für eine CO2-Speicher-Lizenz in der norwegischen Nordsee erhalten. 120 Kilometer westlich von Bergen könnten laut Unternehmen bis zu 5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr gespeichert werden. Auch soll mit Equinor eine Pipeline gebaut werden, die CO2 aus Deutschland gen Norden transportieren soll.

In Norwegen steht laut der Regierung die Bevölkerung grösstenteils hinter den Entwicklungen. Die neue CCS-Infrastruktur sorge auch für Jobs und Einnahmequellen – eine zentrale Aufgabe, wenn man bedenkt, dass heute noch Milliarden durch die Erdgas- und Erdölvorkommen verdient werden. Auch in den Niederlanden scheine die Bevölkerung keinen Anstoss zu nehmen, sagte der niederländische Energiegesandte Frederik Wisselink in Oslo. Draussen am Meer würden die Entwicklungen keinen stören. Noch nicht.

Denn auch in den Niederlanden, einem der grossen Erdgasproduzenten Europas, war die Erfahrung mit CCS nicht immer erfolgreich. Ein Versuch vor rund zwölf Jahren, CO2 zu lagern, entwickelte sich aufgrund von lokalem Widerstand zu einem «Desaster», wie es Wisselink formulierte. Heute setzt die Regierung wieder aktiv auf CCS, um die eigene Emissionsbilanz schleunig zu verbessern. Gleich zwei grosse CCS-Projekte werden gerade entwickelt, unter anderem vor der Hafenstadt Rotterdam.

«Es gibt breite politische Unterstützung, und das hat mit der Dringlichkeit zu tun, die Klimaziele zu erreichen. Wir haben nicht den Luxus, irgendwelche Optionen auszuschliessen», so Wisselink.

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