Kommentar

Bio kaufen rettet die Umwelt nicht – Kostenwahrheit dagegen schon

Die einen wollen Fleisch verbieten. Die anderen finden, die Verantwortung für nachhaltige Ernährung liege allein bei den Konsumenten. Doch beides ist falsch. Für Umweltschutz braucht es vor allem die richtigen Preise.

Matthias Benz 274 Kommentare 5 min
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Die Kunden der deutschen Supermarktkette Penny staunten jüngst nicht schlecht, als ihnen der Discounter die «wahren Kosten» von Lebensmitteln verrechnete. Wiener Würstchen kosteten plötzlich fast doppelt so viel wie üblich, Joghurts 40 Prozent mehr. Penny wollte damit zeigen: So hoch wären die korrekten Preise, wenn die Konsumenten auch für die Umweltkosten aufkommen müssten, die bei der Produktion der Lebensmittel entstehen.

Umweltschäden in Milliardenhöhe

Die Aktion von Penny war eher ein Marketing-Gag. Sie umfasste nur neun Produkte und dauerte eine Woche. Aber sie lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Problem, das im Kern der heutigen Debatten über Ernährung und Landwirtschaft steht. Die Produktion von Lebensmitteln ist mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden. Wie lassen sich die Umweltschäden auf ein verträgliches Mass reduzieren?

Dass etwas passieren muss, bestreitet kaum mehr jemand. Zum einen ist die Landwirtschaft eine bedeutende Quelle von Treibhausgasemissionen, die den globalen Klimawandel antreiben. In der Schweiz steht die Nahrungsmittelproduktion für 14 Prozent der Emissionen. Diese stammen vor allem aus der Tierhaltung für die Herstellung von Fleisch- und Milchprodukten. Zum andern ist die Landwirtschaft auch für viele lokale Umweltprobleme verantwortlich. Überdüngung und Pestizideinsatz – auch im konventionellen Pflanzenanbau – belasten naturnahe Ökosysteme, verringern die Artenvielfalt und verschmutzen das Grundwasser.

Die gesamten Umweltkosten der Landwirtschaft werden für die Schweiz auf mindestens 3 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt. Bis jetzt werden diese Kosten vor allem von der Allgemeinheit getragen.

Nur noch vegan?

Wie dieser Missstand behoben werden soll, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander. Der Schweizer Staat setzt vor allem auf Mikromanagement. Das zeigt die «Klimastrategie für Landwirtschaft und Ernährung», die der Bund gerade vorgestellt hat. Nicht weniger als 42 Massnahmen will die Bundesverwaltung vorantreiben, damit sich die Bevölkerung künftig möglichst umweltgerecht ernährt – also weniger Fleisch und mehr Pflanzen isst. Allerorten soll aufgeklärt, informiert und gefördert werden. Das wird vor allem die Verwaltung beschäftigen. Ob es auch etwas nützen wird, ist zweifelhaft.

Linke Politiker wollen weiter gehen. Um den Fleischkonsum zu reduzieren, möchten sie etwa Altersheimen oder Kantinen vorschreiben, dass sie nur noch vegane Gerichte auftischen dürfen. In Zürich würden Sozialdemokraten und Grüne am liebsten Kühe aus der Stadt verbannen, weil sie finden, das würde dem globalen Klima guttun.

Grenzen der Konsumentensouveränität

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen oft die Landwirte. Sie wittern Bevormundung und finden, der Staat habe den Leuten beim Essen nicht dreinzureden. Sie sprechen gerne von Konsumentensouveränität. So heisst es beim Schweizer Bauernverband, man müsse eben produzieren, was die Konsumenten verlangten. Mit anderen Worten: Wenn den Leuten Umweltschutz wichtig ist, dann sollen sie gefälligst mehr Bio- und Labelprodukte kaufen. Dann würden die Bauern ihre Produktion auch entsprechend anpassen.

Damit wird sämtliche Verantwortung auf den Schultern der Konsumentinnen und Konsumenten abgeladen. Aber das ist ebenso falsch wie staatliche Bevormundung.

Zwar stimmt es, dass die Kunden mit dem Kauf von Bio- und Labelprodukten eine nachhaltige Landwirtschaft fördern können. Aber bei öffentlichen Gütern wie dem Umweltschutz stösst private Initiative an Grenzen. Viele Konsumenten fragen sich zu Recht: Warum soll ich teure Labelprodukte kaufen oder freiwillig Verzicht üben, wenn die anderen Trittbrett fahren und mit ihrem Nahrungsmittelkonsum die Umwelt weiterhin auf Kosten der Allgemeinheit belasten? Als Folge davon verharren die Bio-Marktanteile bei rund 10 Prozent, und viele Bauern halten an der umweltschädigenden intensiven Landwirtschaft fest.

Staat sollte Lenkungsabgaben einführen

Es braucht deshalb neue Ansätze. Der Königsweg für eine Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, die gleichzeitig umweltgerecht und liberal ist, heisst Kostenwahrheit. Das Prinzip ist so einfach wie in den Wirtschaftswissenschaften altbekannt. Wenn es Umweltkosten zulasten der Allgemeinheit gibt (im Fachjargon: Externalitäten), sollen diese im Preis berücksichtigt (internalisiert) werden. Dann lohnt sich Umweltschutz. Produzenten und Konsumenten weichen auf umweltfreundlichere Güter aus. Die Umweltschäden gehen auf ein Niveau zurück, das gesellschaftlich tragbar ist.

Wie das Prinzip der Kostenwahrheit für den Nahrungsmittelsektor umgesetzt werden könnte, haben der Zürcher Agrarökonom Felix Schläpfer und der Berater Markus Ahmadi jüngst in einem Buch dargestellt. Sie fordern einerseits, dass Subventionen für umweltschädliche Produktionsweisen abgebaut werden. Anderseits schlagen sie die Einführung von Lenkungsabgaben vor. Solche Abgaben müssten erhoben werden auf den Treibhausgasemissionen, die bei der Lebensmittelproduktion anfallen, sowie auf den Treibern der intensiven Landwirtschaft – Kunstdünger, Pestizide oder Futtermittel.

Die Strategie wäre mithin ähnlich wie in der Klimapolitik. Um den Klimaschutz effizient zu gestalten, plädieren Ökonomen dafür, CO2-Emissionen mit einem Preis zu versehen. Dann engagieren sich Menschen und Unternehmen aus eigenem Interesse für den Umweltschutz.

Durchschnittlicher Haushalt zahlt nicht mehr

Das Prinzip der Kostenwahrheit weckt allerdings auch Kritik und Ängste. Werden Lebensmittel in der Schweiz dann nicht noch teurer? Die Antwort lautet Ja und Nein. Die Preise von Nahrungsmitteln mit einer schlechten Ökobilanz würden tatsächlich steigen, wenn jeder die «wahren Kosten» bezahlen müsste. Aber gleichzeitig wäre es wichtig, dass die Politik die Einnahmen aus den Lenkungsabgaben vollständig an die Bevölkerung zurückverteilt. Für den durchschnittlichen Haushalt würde dann der Nahrungsmittelkonsum in der Summe nicht teurer. Wer hingegen gerne viel Fleisch, Milchprodukte und Eier isst, müsste in den sauren Apfel beissen und sich überlegen, ob ihm das die höheren Preise wert ist.

Widerstand gibt es auch von den Bauern. Sie sagen: «Wenn wir umweltschonend produzieren müssen, steigen unsere Kosten, und die Menschen kaufen dann einfach im Ausland ein, weil es günstiger ist.» Der Einwand ist berechtigt. Kostenwahrheit sollte grundsätzlich auch für importierte Lebensmittel gelten. Der Staat hat Ansatzpunkte, um hier regulierend einzugreifen. So könnte der Bund die bestehenden Importzölle abstufen: Für nachhaltig produzierte Lebensmittel wie Bio-Produkte könnten sie heruntergesetzt, für umweltbelastende Importe erhöht werden.

Linke Politiker werden schliesslich einwenden, dass der Weg der Kostenwahrheit viel zu lange dauere und die «Ernährungswende» viel beherzter angepackt werden müsse. Doch sie sollten bedenken, dass alles, was nach Verboten und Vorschriften riecht, einen grossen Teil der Bevölkerung abstösst. Die Debatte um die Ernährung wird auch deshalb so erbittert geführt, weil das Thema den Leuten so nahegeht. Essen ist Alltag, Gewohnheit, Tradition und Genuss. Die Menschen mögen es nicht, wenn ihnen Politiker auf die Teller greifen.

Ein freiheitlicher Weg

Das Prinzip der Kostenwahrheit ist deshalb auch ein Angebot zur Entspannung. Es würde Konfliktpotenzial aus den Debatten um die Ernährung nehmen. Zudem wäre es mit Erleichterungen für die Konsumenten verbunden. Für Supermarktkunden ist der tägliche Einkauf heute oft ein Spiessrutenlauf. Wer bei jedem Produkt wissen will, wie die Ökobilanz genau aussieht, ist schnell überfordert. Anders wäre es, wenn der Ladenpreis bei allen Lebensmitteln die vollen Kosten enthalten würde. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssten sich kein schlechtes Gewissen mehr machen. Sie könnten wieder aufs Wesentliche achten: auf die Qualität und die Frage, ob ihnen ein Produkt den verlangten Preis wert ist.

Das Prinzip der Kostenwahrheit ist der freiheitliche Weg, um zu einer umweltgerechten Ernährung zu kommen. Niemandem wird vorgeschrieben, was er noch essen darf und was nicht. Aber gleichzeitig werden die Umweltfolgen des Nahrungsmittelkonsums nicht ausgeblendet. Konsumenten und Produzenten müssen eine Verantwortung tragen, die zu einer freiheitlichen Gesellschaft gehört: dass sie für die Kosten ihres Tuns geradestehen. Wenn die Umweltexternalitäten so bedeutend sind wie bei Nahrungsmitteln, ist es gerechtfertigt, dass der Staat die richtigen Leitplanken setzt. Sie bestehen nicht aus Zwang oder bürokratischer Feinsteuerung, sondern aus Kostenwahrheit.

274 Kommentare
Peter Schwindling

Ich lasse mir bestimmt nicht von durchgeknallten, wohlstands-degenerierten Umweltschutz-Terroristen erklären, wie ich mein Leben zu gestalten habe. Und das beinhaltet meinen Speiseplan.

Hermann Grünenfelder

Nur 11% der Schweizer Bevölkerung kaufen Bioprodukte und Fleisch aus tiergerechte Haltung. Wieso kauft die heuchlerische Mehrheit (70%+), die immer grüne Forderungen mit JA abstimmt, nicht nach deren Richtlinien?