Kommentar

Deutschland im Rausch der Subventionen: Das Karlsruher Urteil böte Anlass zum Entzug

Milliarden für Chipfabriken und Wasserstoffprojekte, Stromsteuer-Ermässigung für Teile der Wirtschaft, eine Bürgschaft für Siemens Energy: Deutschland hat sich in einen Rausch der Subventionen getrunken. Nun erwacht es mit einem bösen Kater.

René Höltschi, Berlin 191 Kommentare 5 min
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Auf jeden Rausch folgt ein Kater. Im deutschen Subventionsrausch hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen solchen ausgelöst: Mit dem Urteil von letzter Woche fehlen bis 2027 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem eine Vielzahl von Staatshilfen finanziert werden sollte. Weitere Töpfe, vor allem der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), sind potenziell ebenfalls gefährdet. Von der schwedischen Northvolt, die in Schleswig-Holstein eine Batteriefabrik errichten will, bis zur taiwanischen TSMC, die ein Halbleiterwerk in Dresden plant, zittern Firmen um in Aussicht gestellte Staatsgelder.

Steter Anstieg seit 2014

Würden Subventionen eine Volkswirtschaft fitter machen, müsste es Deutschland blendend gehen. Immer neue Wohltaten hat die Regierung beschlossen, in hoher Kadenz händigte das Wirtschaftsministerium «Förderbescheide» aus – nicht erst seit Antritt der Ampelregierung, aber seither erst recht. Hier eine neue Milliarde für eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion, dort ein Festhalten an Steuervergünstigungen für privat genutzte Dienstwagen. Hier eine stattliche Bürgschaft für Siemens Energy, dort ein Strompreispaket zur Senkung der Stromsteuer – aber nur für die gewerbliche Wirtschaft.

Die Beihilfen sind auf ein Rekordhoch gewachsen

Finanzhilfen des Bundes und seiner Sonderhaushalte (in Mrd. €)*
Ist-Werte
Soll-Werte

Laut der jüngsten Ausgabe des jährlichen Subventionsberichts des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft (IfW) steigen die Finanzhilfen des Bundes (ohne Steuervergünstigungen, ohne Hilfen der Bundesländer) an Unternehmen und Haushalte von 77 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf geplante 208 Milliarden Euro in diesem Jahr. Seit 2014 sind die Hilfen kontinuierlich gewachsen, nachdem sie zuvor nach einem temporären Höchststand in der Finanzkrise fünf Jahre lang gesunken waren.

Gewiss, der jüngste massive Anstieg ist vor allem auch auf die temporäre Strom- und Gaspreisbremse zurückzuführen, und die dafür vorgesehenen Mittel dürften nicht alle gebraucht werden, weil die Preise wieder gesunken sind. Auch verwendet das IfW eine relativ weite Definition von Subventionen. Doch auch ohne die Bremsen ist die Summe enorm, und auch ein Subventionsbericht der Regierung, der eine engere Definition nutzt, zeigt eine steigende Tendenz.

Habecks aktive Förderpolitik

In der Corona- und der Energiekrise war der Anstieg zumindest ein Stück weit damit zu rechtfertigen, dass externe Schocks sozial abgefedert, die Energieversorgung aufrechterhalten oder Unternehmen, die unter Corona-Restriktionen litten, temporär unterstützt werden sollten. Mit dem Auslaufen dieser Krisen müssten aber auch die Beihilfen wieder sinken.

Doch Subventionen sind wie Drogen: Sie machen süchtig. Gründe für Beihilfen lassen sich immer finden. In der im Oktober vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck vorgelegten Industriestrategie heisst es, die «Industriepolitik in der Zeitenwende» erfordere «in vielen Fällen auch eine aktive Förderpolitik». Teil dieser Politik sei «in bestimmten, klar definierten Fällen auch die gezielte finanzielle Unterstützung und Förderung von Unternehmen und Branchen».

Zur Stärkung der «Wirtschaftssicherheit» ruft die Strategie nach dem Aufbau neuer, eigener Produktionskapazitäten in kritischen Bereichen. Dazu zählt sie Mikrochips und «Transformationstechnologien» wie Photovoltaik, Wind oder Batterien.

Anmassung des Wissens

Kleingeredet werden in diesem Rausch der Subventionen deren Gefahren und Nebenwirkungen. So masst sich die Politik den Entscheid an, wer förderwürdig ist und wer nicht. Woher weiss sie das? Manche der jüngsten deutschen Erfolgsgeschichten, darunter der Impfstoffhersteller Biontech oder der Laserspezialist Trumpf, sind primär mit privatem Kapital finanziert worden, während die einst hoch subventionierte Solarindustrie weitgehend verschwunden ist.

Eine zweite Gefahr liegt darin, dass Subventionen für «alte» Industrien wie das Strompreispaket den nötigen Strukturwandel verzögern, ohne ihn aufhalten zu können. Der Wandel trifft Deutschland derzeit besonders hart, weil es mit seiner überdurchschnittlichen Industrielastigkeit unter dem Wegfall des billigen russischen Gases leidet und als exportintensive Volkswirtschaft anfälliger für geopolitische Spannungen ist.

Es ist jedoch primär Sache der Unternehmen, sich an solche Veränderungen anzupassen. Das kann auch die Verlagerung von Produktionen oder gar den Untergang einzelner, nicht mehr lebensfähiger Firmen mit sich bringen. Verzögert der Staat dies durch Garantien oder Beihilfen, droht er Zombies zu schaffen.

Teure Chipversicherung

Doch auch Beihilfen für «Zukunftsindustrien» sind problematisch. Woher weiss der Staat, welche Technologie sich durchsetzen wird? Er sollte durch gute Rahmenbedingungen Neues ermöglichen, statt es mit Subventionen selbst heranzuzüchten.

Letzteres versucht Berlin etwa in der Halbleiterindustrie. Der amerikanische Konzern Intel soll 10 Milliarden Euro für ein Werk in Magdeburg erhalten, TSMC und seine Partner bis zu 5 Milliarden für ein solches in Dresden. Chipfabriken würden überall auf der Welt unterstützt, sagen Regierungsvertreter. Wolle man dabei sein, müsse man mitziehen. Doch muss Deutschland dabei sein, wenn finanzkräftige Halbleitergiganten nur investieren, wenn ihnen der Steuerzahler bis zur Hälfte der Investitionskosten abnimmt?

Die «Ampel» argumentiert mit der Versorgungssicherheit. Doch die Halbleiterbranche ist eine globale Industrie mit komplexen Lieferketten. Auch ein Chipwerk in Ostdeutschland braucht Vorprodukte und Rohstoffe aus dem Ausland, nicht selten aus China. Umgekehrt kann kein Konzern der Welt die leistungsfähigsten Chips herstellen ohne Maschinen der niederländischen ASML, die wiederum auf Komponenten der beiden deutschen Unternehmen Trumpf und Zeiss angewiesen ist.

Sollte es tatsächlich zu einer Unterbrechung der Lieferungen aus Fernost kommen, macht es kaum einen Unterschied, ob die Intel-Fabrik in Deutschland oder anderswo in Europa oder in Nordamerika steht – es sei denn, Berlin erlässt ein Exportverbot, was aber Gegenreaktionen provozieren könnte und am Ende niemandem hilft. Deutschland erwerbe mit den Subventionen eine sehr teure Versicherung, deren Wert zweifelhaft sei, kritisierte der Kronberger Kreis liberaler Ökonomen treffend.

Verzerrter Wettbewerb

Selektive Subventionen provozieren zudem Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Staaten. Kleine Länder können sich die von Berlin angebotenen Summen schlicht nicht leisten. Das TSMC-Werk wird in Dresden Nachbar einer Fabrik des US-Herstellers Globalfoundries sein, eines direkten Konkurrenten. Nun pocht dieser auf Gleichbehandlung und bemüht sich ebenfalls um Subventionen für einen 8 Milliarden Euro teuren Ausbau. Kann Berlin diesen Antrag noch ablehnen?

Subventionswettlauf führt zu Ineffizienz: Die Behörden stecken viele Ressourcen in die Prüfung und Kontrolle der Projekte, die Unternehmen studieren Förderrichtlinien und füllen Anträge aus, statt zu forschen und zu produzieren. Die Gefahr ist gross, dass nicht die innovativsten Firmen gefördert werden, sondern jene mit der grössten Nähe zur Politik, dass Mitnahmeeffekte entstehen (Firmen kassieren Subventionen für Dinge, die sie ohnehin täten) und dass Unternehmen weiterziehen, wenn die Beihilfen auslaufen.

«Der Staat ist zwar nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber ganz sicher finden die Verlierer von gestern den Staat», so brachte der IfW-Präsident Moritz Schularick unlängst all dies auf den Punkt.

Finanzieren müssen die staatlichen Wohltaten heutige und künftige Steuerzahler. Die enormen Ausgaben für Beihilfen tragen zu dem im internationalen Vergleich hohen Niveau der Steuern bei, und sie schmälern den Spielraum für andere öffentliche Aufgaben.

Ordnungspolitik als Ausweg

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Finanzierung eines Teils dieser Subventionspolitik den Boden entzogen hat, böte Gelegenheit für eine Kurskorrektur. Die Losung müsste lauten: mehr Ordnungspolitik, weniger aktive Industriepolitik. Statt einzelne Unternehmen und Branchen zu fördern, sollte der Staat die Standortbedingungen für alle verbessern.

Dass die «Ampel» den Schock aus Karlsruhe zu einer beherzten Kurswende nutzen wird, ist indessen nicht allzu wahrscheinlich. Dafür sind SPD und Grüne zu interventionistisch gestrickt. Sollte die Koalition nicht am Finanzstreit zerbrechen, dürfte sie den Ausweg eher in neuen Finanzquellen oder einem weiteren Aussetzen der Schuldenbremse suchen. Wie ein Alkoholiker, der mit einem Kater aufwacht und zur nächsten Flasche greift.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

191 Kommentare
B. S.

Schleichend hat Europa die freie Marktwirtschaft verlassen, indem mit dem Primat der Klimahysterie eine staatlich gesteuerte Angebotswirtschaft gerechtfertigt wird. Befeuert durch Corona entstand eine träge, saturierte Anspruchsgesellschaft, die durch Zinserhöhungen ausgelöste Kosten, selbstverschuldete ineffiziente Embargos und fehlende Stromanbau teure Energie gepampert werden soll. Die EU als Vorreiterin des staatlich verordneten Konsums und Verteilung der Konsumgelder, abgeschöpft durch unablässig steigende Abgaben und Steuern. Ein Horrorszenario. Europa ohne Not auf den wirtschftspolitischen Pfaden des ehemaligen Ostblocks. Es gibt seit Jahren Erfahrung mit staatlich geführten Angebotswirtschaften - wohl alle crashten. Das Problem in Europa: Die Staatssender werden von Leuten geführt, die die hohle Hand als Staatsangestellte machen und daher diese Angebotswirtschaft täglich beackern und die Klimahysterie in die Warme Stube bringen. Das damit Arbeitsplätze vernichtet werden, wird nicht vermittelt. Die Elektroangebotswirtschaft wird krachend scheitern und damit die totale Deindutrialiaierung Europs ausgelöst.

Alfons Steinberger

"Milliarden für Chipfabriken und Wasserstoffprojekte, Stromsteuer-Ermässigung für Teile der Wirtschaft, eine Bürgschaft für Siemens Energy: Deutschland hat sich in einen Rausch der Subventionen getrunken." Zu Allererst: nicht Deutschland hat sich in einen Subventionsrausch getrunken - es war diese linksdrehende Bundesregierung! Man freut sich richtig, dass das BVerfG diesen Hirnis endlich mal ihren Schmarrn um die Ohren gehauen hat (ideologisch verbockt und stur wollen die das aber nicht einsehen). Und dann: wie krank im Kopf ist das eigentlich, den Strom mittels staatlicher Eingriff (Steuern, CO2-Abgabe etc.) massiv zu verteuern - um dann (hoppala, wer konnte das nur ahnen) festzustellen, dass dieser Strompreis von der Wirtschaft nicht mehr zu verkraften ist und man ihn darum für Teile der Wirtschaft (wohlgemerkt nicht für die gesamt Wirtschaft und nicht für die Bürger!) wieder mittels staatlicher Eingriffe (Subventionen) verbilligen will. Und passend zu diesem Irrsinn soll ab 2024 die CO2-Abgabe natürlich trotzdem steigen. Unterm Strich zahlt diesen Irrsinn immer der Endverbraucher (der Bürger) - also stellt Euch auf teure Zeiten ein. Und zu guter Letzt: Augen auf bei der Bundestagswahl - dann klappst vielleicht auch mal wieder mit dem gesunden Menschenverstand in der Regierung.

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