Gastkommentar

Gleichstellung hängt stark von partnerschaftlichen Entscheidungen in der Beziehung ab

Die innerfamiliäre Arbeitsteilung stellt sowohl junge Familien wie auch Unternehmen vor ein Dilemma. In partnerschaftlichen Beziehungen entscheiden sich Frauen öfter für flexible Jobs, während die Männer die zeitintensiveren (und lukrativeren) Karrierejobs anstreben.

Margit Osterloh und Katja Rost 29 Kommentare 6 min
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Kommt das Kind, wählen Frauen häufig flexible Jobs, in denen sie für die Kinder und die Familie mehr Zeit aufwenden können.

Kommt das Kind, wählen Frauen häufig flexible Jobs, in denen sie für die Kinder und die Familie mehr Zeit aufwenden können.

Georgios Kefalas / Keystone

Mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für Claudia Goldin ist die Ökonomie der Geschlechterverhältnisse («gender economics») zur Aufmerksamkeit einer grösseren Öffentlichkeit gelangt. Das ist erfreulich. Rückt damit doch ein wichtiges Problem in den Fokus, nämlich die nach wie vor ungleiche Bezahlung und der ungleiche Anteil an Führungspositionen von Frauen und Männern.

Weniger erfreulich dürften die Forschungsergebnisse von Claudia Goldin für manche Gender-Aktivistinnen und Diversity-Manager sein, die uns suggerieren wollen, dass Frauen heute immer noch Diskriminierungsopfer seien, welche mit Gender-Sternchen oder Quoten vor Ausgrenzung geschützt werden müssten. Claudia Goldin zeigt auf, dass heute – anders als früher – die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz kaum noch als Ursache für ungleiche Bezahlung und ungleichen Aufstieg herangezogen werden kann.

Vielmehr müssen Entscheidungen innerhalb der partnerschaftlichen Beziehungen herangezogen werden. Insofern bestätigt die Nobelpreisträgerin die Ergebnisse unserer Studie über die Leaky Pipeline an der Universität Zürich und der ETH. Diese Studie hat uns im letzten Frühjahr einen veritablen Shitstorm eingetragen, weil die Resultate einigen nicht in ihr Weltbild passten.

Karriereentscheidungen in der Partnerschaft

Was sind nun die wichtigen Forschungsergebnisse der Nobelpreisträgerin? Und sind diese auch für die Schweiz gültig? Dies ist wichtig, weil sich Claudia Goldin – wie leider viele Ökonomen und Ökonominnen von Weltrang – fast ausschliesslich mit den USA beschäftigt. Aus unserer Sicht ist die wichtigste auf die Schweiz übertragbare Erkenntnis, dass nur wenige Frauen – insbesondere Frauen mit Kindern – Jobs übernehmen, die Claudia Goldin als «greedy» (gierig) bezeichnet.

Diese Bezeichnung ist (insbesondere in der Übersetzung) irreführend. Sie sollte durch «total engagement jobs» ersetzt werden. Es handelt sich um Positionen, die ständige Verfügbarkeit, lange Arbeitszeiten und mitunter hohe globale Mobilität erfordern, was keineswegs mit Gier einhergehen muss.

Viele Selbständige, Mitglieder des mittleren und oberen Managements, Berater, Anwälte oder Chirurgen arbeiten häufig sechzig oder mehr Stunden pro Woche. Beruf und Karriere stehen im Lebensmittelpunkt, was zulasten des Familienlebens geht. Sobald Kinder da sind, können solche Positionen schwerlich von beiden Partnern gleichzeitig übernommen werden.

Traditionellerweise sind es eher die Männer, welche – durchaus in Übereinstimmung mit ihren Partnerinnen – solche Karrieren anstreben. Die Frauen hingegen wählen flexible Jobs, in denen sie für die Kinder und die Familie mehr Zeit aufwenden und Pikettdienste übernehmen können.

Claudia Goldin argumentiert, dass diese Form der Arbeitsteilung nicht ohne weiteres dadurch ersetzt werden könne, dass beide Partner gleiche Pflichten innerhalb der Familie und im Job übernähmen. Etwa so, dass beide zu 80 Prozent beruflich arbeiten und sich die Betreuungsarbeit für die Kinder teilen – was heute viele gut ausgebildete Paare anstreben.

Eine solche wünschenswerte Arbeitsteilung kann zu Nachteilen für das Familieneinkommen führen. Beide zusammengenommen verdienen in vielen Fällen weniger, als wenn ein Partner – in der Regel der Mann – den «total engagement job» übernimmt. Goldin zeigt auf, dass die Mütter vor allem dann niedrige Teilzeitpensen übernehmen, wenn ihre Partner deutlich mehr verdienen als sie. Sie übernehmen den flexiblen Job mit weniger Arbeitsstunden, geringerer Verfügbarkeit und geringeren Mobilitätsanforderungen.

Produktivität pro Arbeitsstunde

Als Grund dafür analysiert Claudia Goldin, dass in vielen anspruchsvollen Berufen die Produktivität pro Arbeitsstunde zunimmt, wenn man mehr Stunden arbeitet – ein Ergebnis, das Befürwortern von Teilzeitarrangements und Work-Life-Balance nicht gefallen wird. Zwar gibt es durchaus Jobs, in denen die Arbeit auf mehrere Personen in Teilzeit aufgeteilt werden kann, ohne dass die Produktivität leidet. Claudia Goldin schreibt, dass dies heute beispielsweise in der Pharmazie und der Veterinärmedizin – also in typischen Frauenberufen – möglich sei.

Aber unter folgenden Bedingungen steigt die Produktivität und damit der Lohn, wenn mehr Stunden pro Woche gearbeitet wird (natürlich nicht unbegrenzt): hohe Bedeutsamkeit für andere Menschen oder die Organisation, viel Kontakt mit und Abhängigkeit von Kollegen, Kunden oder Lieferanten, hoher Zeitdruck und strikte Deadlines, hohe ständige Verfügbarkeit und Mobilität, hohe Wettbewerbsintensität. Es erfüllen diese genau die Berufe, in denen heute die höchsten Einkommensunterschiede anzutreffen sind – etwa in der Bank- und Finanzwirtschaft oder im Bereich innovativer Startups.

Betrachtet man die Schweizer Daten, dann scheint bei uns diese Form der Arbeitsteilung allerdings keineswegs nur bei «total engagement jobs» üblich zu sein. Die im April dieses Jahres veröffentlichten Zahlen des BfS zeigen, dass zu Beginn ihrer Berufslaufbahn Frauen und Männer generell mit ihren Stundenlöhnen gleichauf sind. Bei ledigen Männern und Frauen entwickelt sich die Lohnkurve ungefähr ähnlich.

Aber bei verheirateten Frauen öffnet sich ab dem 30. Lebensjahr die Schere markant. Diese Befunde passen zu den Zahlen über die Mutterschaftsstrafe, also die Einkommenseinbusse von Frauen mit Kindern gegenüber solchen ohne Kinder. Josef Zweimüller von der Universität Zürich und seine Co-Autoren haben herausgefunden, dass sie in der Schweiz selbst zehn Jahre nach der Geburt eines Kindes mit 60 Prozent besonders hoch ist, wohingegen sich bei den Vätern eher eine leichte Einkommenszunahme zeigt. Die Schweiz ist damit nicht allein.

Eine jüngst erschienene Studie aus Schweden, den Niederlanden und Grossbritannien zeigt, dass sich Frauen nach wie vor wünschen, dass ihre Männer mehr Stunden arbeiten als sie selbst, sobald Kinder da sind. Und dies auch dann, wenn sie höhere Stundenlöhne haben als ihre Partner.

Die Erkenntnis, dass diese innerfamiliäre Arbeitsteilung hohe Kosten haben kann, stellt sowohl junge Familien wie auch Unternehmen vor ein Dilemma.

Familieneinkommen optimieren

Viele junge Paare haben den ernsthaften Wunsch, die Ungleichheit der beiden Partner in Bezug auf Einkommen und Karrierechancen durch eine gleichmässige Aufteilung der familiären und beruflichen Pflichten aufzuheben. Jedoch müssen sie sich häufig zwischen dem Wunsch nach Gleichheit und einem hohen gemeinsamen Familieneinkommen entscheiden.

Die Praxis in der Schweiz zeigt, dass diese Entscheidung in den meisten Fällen zugunsten des höheren Familieneinkommens und zuungunsten der Karrierechancen der Frauen ausfällt. Auch dann, wenn beide eine gleich gute Ausbildung haben. Unsere Studie hat gezeigt, dass sehr viele der befragten Akademikerinnen und Akademiker dies in ihrer Lebens- und Karriereplanung antizipieren. Im Ergebnis wird somit die Leaky Pipeline – die kontinuierliche Abnahme des Frauenanteils bei höherer Karrierestufe – auch in Zukunft insbesondere bei «total engagement jobs» bestehen bleiben, und dies trotz dem heute generell höheren formalen Ausbildungsstand der Frauen im Vergleich zu den Männern.

Für die Unternehmen ergibt sich das Dilemma, dass sich der Wunsch nach mehr Frauen und gemischten Teams in Führungspositionen nicht leicht erfüllen lässt. In der Schweiz gibt es gemäss dem jährlichen Schillingreport im Jahr 2023 in den befragten grössten 122 Schweizer Unternehmen 8 Prozent weibliche CEO; in den 20 SMI-Unternehmen gibt es gar keine.

Ist das eine Folge von Diskriminierung? Wohl kaum. Wenn aus den genannten Gründen die meisten Mütter beruflich kürzertreten und ihren Partnern die besseren Karrierechancen zubilligen, dann ist dies eine Sache der Übereinkunft in der Partnerschaft. In der Schweiz haben rund 7 von 10 erwachsenen Frauen Kinder. In der Folge stehen für die anspruchsvollen Top-Positionen deutlich weniger Frauen als Männer zur Verfügung. «Diversity hires» oder Quoten führen dann zu unbefriedigenden Stellenbesetzungen.

Absicherung ist wichtig

Was sind die Konsequenzen für eine Gleichstellungspolitik, welche die privaten Vereinbarungen zwischen Eltern im Interesse eines gemeinsamen hohen Familieneinkommens respektiert – zumal Studien zur Lebenszufriedenheit zeigen, dass Frauen bei uns ebenso glücklich sind wie Männer? Sicher würden flächendeckende und billigere Kita-Angebote die Berufstätigkeit von Müttern steigern.

Die erwähnte Studie von Josef Zweimüller zeigt jedoch auch, dass dies nur in geringem Ausmass der Fall sein dürfte. Wünschenswert wären veränderte Geschlechternormen: Wenn das in den Köpfen immer noch vorherrschende, männliche Breadwinner-Modell verschwände, würden auch mehr Männer in flexiblen Jobs arbeiten, während ihre Frauen die «total engagement jobs» übernähmen. Aber so etwas braucht erfahrungsgemäss sehr viel Zeit.

Was also tun? Wir sollten aufhören, Frauen als Opfer darzustellen, sie aber vor einer spezifischen Ehefalle warnen. Diejenigen Frauen, die mit ihren Partnern freiwillig eine Übereinkunft treffen, nach welcher er die Karriere macht und sie sich um die Familie kümmert – mithin das in der Schweiz am häufigsten praktizierte Modell –, sollten wir auffordern, rechtzeitig einen Ehevertrag abzuschliessen.

Dieser muss den Frauen – falls die Ehe scheitert – für ihren Verzicht auf eine eigene berufliche Karriere einen angemessenen Versorgungsanspruch zubilligen. Die Frauenverbände sollten hierfür Musterverträge bereitstellen und propagieren. Das wäre ein pragmatischer Beitrag zur ökonomischen Gleichstellung. Und wir sollten dringend für Korrekturen in der Rechtsprechung sorgen, nach welcher – gemäss dem Grundsatz der Eigenverantwortung – die Frauen nach einer gescheiterten Ehe oft das Nachsehen haben.

Margit Osterloh ist Forschungsdirektorin am Center for Research in Economics, Management and the Arts (Crema) in Zürich. Katja Rost ist Professorin für Soziologie an der Universität Zürich.

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Monika Diethelm-Knöpfel

Schade ist, dass es bei dieser Arbeit so viel um Spitzenkarrieren geht. Fast niemand wird CEO einer der grössten Schweizer Firmen, das gilt für Männer wie für Frauen. Spannender wäre, auch Paare mit durchschnittlicher Berufskarriere zu berücksichtigen.

Martin Ahlemeyer

Wer als Frau mit Kleinkindern nicht ständig das Ziel im Kopf hat, wieder zu arbeiten und dafür nach Lösungen zu  suchen, fängt an, sich in der Hausfrauenrolle einzurichten. Ich sehe das z. B. bei Nachbarn oder unserer Haushaltshilfe. Die Kinder der Nachbarin gehen mittlerweile zur Schule , da könnte man sicher als Prophylaxe - Assistentin in einer Zahnarztpraxis wieder anfangen, stundenweise zu arbeiten. Stattdessen springt jetzt ein Welpe im Garten herum und die Pflichten Zuhause nehmen zu.  Unsere Haushaltshilfe begann zweimal in der Woche bei uns halbtags zu arbeiten, weil sie dies mit kleinen Kindern vereinbaren konnte. Inzwischen sind die Kinder Teenies, werden rundum verwöhnt und tragen wenig zur Hausarbeit bei , weil sie angeblich mit der Schule und Studium so überfordert sind . Sie selbst geht mittlerweile nach der Arbeit bei uns anschließend mit Freundinnen shoppen oder mit der Nachbarin walken, alles Frauen, die sich in ihrer Hausfrauenrolle recht wohl fühlen. Meine Frau arbeitete als Chefärztin 60 Stunden die Woche. Auf die Frage an unsere Haushaltshilfe, ob sie uns denn noch länger zur Verfügung steht, weil die Kinder nun doch groß sind und sie wieder ganztags arbeiten könnte, reagierte sie beleidigt. Inzwischen hat ihr Ehemann sehr viel Druck ausgeübt und dann hat sie gekündigt, um in ihrem erlernten Beruf wieder halbtags zu arbeiten. Ich fürchte,  diese Fälle sind keine Einzelfälle .