Gastkommentar

Die Verlockung autoritärer Klimapolitik – wer meint, Diktaturen schützten die Umwelt besser, irrt gewaltig

Angenommen, die Macht zum Kampf gegen den Klimawandel wird in der Hand eines autoritären Staates konzentriert: Wie kann dann verhindert werden, dass diese Macht missbraucht wird? Und wer garantiert, dass dabei der Klimawandel überhaupt bekämpft wird?

Jan-Werner Müller 110 Kommentare 4 min
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Bau einer Photovoltaikanlage in der chinesischen Provinz Anhui, 2014.

Bau einer Photovoltaikanlage in der chinesischen Provinz Anhui, 2014.

Jianan Yu / Reuters

Mit seinen Rekordtemperaturen, tödlichen Überschwemmungen und tobenden Waldbränden – die allein in Kanada so viele Bäume zerstört haben, wie in ganz Deutschland stehen – hat sich dieser Sommer wie eine letzte Warnung angefühlt: Ohne umgehende und drastische Massnahmen entwickelt sich die gegenwärtige Klimakrise zu einer irreversiblen Klimakatastrophe.

Daher könnten einige zu glauben versucht sein, wir könnten auf diese Bedrohung jetzt nur noch schnell und wirksam genug reagieren, wenn wir die staatlichen Befugnisse verstärken – oder gar ein autoritäres System einführen. Aber die Ansicht, ökologisch gesinnte Autokraten könnten das Klima besser schützen als demokratische Politiker, ist eine gefährliche Phantasie.

Zweifel an der Fähigkeit der Demokratien, schnell und effizient zu handeln, sind nicht neu: Regierungssysteme, die (theoretisch, wenn auch nicht immer faktisch) allen Bürgern eine Beteiligung ermöglichen, sind unvollkommen und langsam. Mehrheitlich unterstützte Massnahmen können häufig von einflussreichen Akteuren blockiert werden.

So ist die – lange eher zurückhaltend geäusserte – Ansicht, die irrationalen Massen hätten zu viel Macht, spätestens im Zeitalter von Donald Trump völlig salonfähig geworden. Beispielsweise neigen die Wähler dazu, Politiker für präventive Massnahmen zur Katastrophenabwehr zu bestrafen. Stellen sich die Politiker hingegen während eines Desasters als Helden dar, werden sie dafür belohnt – obwohl Hilfsmassnahmen viel teurer sind als solche zur Vorbeugung.

Der Schaden der Langsamkeit

Zusätzlich kann man argumentieren, viele der Vorteile einer Demokratie seien in der Klimakrise nicht sehr hilfreich. Demokratien sind stolz auf die Tatsache, dass dort jede Entscheidung noch einmal revidiert werden kann – dass Massnahmen aktualisiert und verbessert werden können und dass die Verlierer einer Wahl die nächste gewinnen können (und damit gute Gründe haben, das demokratische Spiel weiter mitzuspielen).

Aber klimapolitische Massnahmen haben erhebliche, irreversible Folgen, also selbst wenn schlechte Entscheidungen – wie die, zu wenig zu tun – später geändert werden, ist bis dahin bereits ein schwerer Schaden entstanden.

Es gibt auch noch direktere Kritik: Der demokratische Prozess beruht auf Kompromissen, die sich aber häufig als faul erweisen – insbesondere in Mehrparteiensystemen, da dort zu viele unterschiedliche politische Akteure berücksichtigt werden wollen. Ein Beispiel dafür scheint die derzeitige deutsche Regierungskoalition zu sein. Eine solche Verwässerung zu korrigieren, kostet Zeit, die Demokratien unter normalen Umständen vielleicht haben, aber sicherlich nicht, wenn der Planet praktisch täglich heisser und unbewohnbarer wird.

Ein weiteres wichtiges Problem ist, dass die Geschäftsinteressen dominieren. Bekämpft man den Klimawandel, werden dadurch unweigerlich die Interessen zumindest einiger Kapitalisten verletzt, und so könnten diese versuchen, zu verhindern, dass rechtzeitig – oder überhaupt – die nötigen Schritte unternommen werden.

Scheinlösung Diktatur

Da die Klimakrise massiv eskaliert, werden nun die Rufe nach autoritärerer Entscheidungsfindung immer lauter. Einige setzen sich für einen stärker technokratisch orientierten Ansatz ein, für den China als leuchtendes Beispiel dienen soll. (Die Ironie, dass China der weltweit grösste Emittent von Treibhausgasen ist, scheint ihnen dabei zu entgehen.) Andere – insbesondere der schwedische Denker Andreas Malm – stellen sich eine neue Form von Leninismus oder Kriegskommunismus vor.

Diese Ideen werfen natürlich Fragen auf, die ihre Fürsprecher nie wirklich beantworten. Angenommen, die Macht zum Kampf gegen den Klimawandel wird in der Hand eines Staates ohne Beteiligung seiner Bürger konzentriert: Wie kann dann verhindert werden, dass diese Macht missbraucht wird? Warum sollte ein autoritäres Regime, das den Menschen gegenüber nicht verantwortlich ist, den Klimawandel überhaupt bekämpfen?

Autoritäre Regime sind für ihre Korruption bekannt. Also ist die Annahme, ein solches System sei frei von «Partikularinteressen» und werde von neutralen, rationalen Technokraten regiert, nicht plausibel. Tatsächlich würde eine Wende hin zu autoritärerer Entscheidungsfindung den Klimaschutz nicht stärken, sondern die Katastrophe wahrscheinlich noch verschlimmern.

(Klima-)Forschung braucht freie Rede

Eine autoritäre Klimapolitik könnte auch auf indirektere Art nach hinten losgehen: In einer politischen Landschaft, in der ein gewisser Grad von Freiheit herrscht, gibt es unweigerlich auch eine Opposition. Halten die Behörden neue Restriktionen für nötig, um Kritik oder Widerstand zu verhindern, könnten sie leicht auch andere grundlegende Freiheiten einschränken – darunter auch die Freiheit, potenziell transformative Ideen zu finden und auszutauschen.

Stellen wir uns vor, eine Gruppe von Klimawissenschaftern hält die Politik eines Klimadiktators für ungenügend und versucht, andere zu mobilisieren, um strengere Massnahmen zu fordern. Dann würde der Diktator «Ordnung» schaffen wollen und die akademische Freiheit und die Versammlungsfreiheit einschränken.

Natürlich bedeutet all dies nicht, dass sich demokratische Systeme besonders gut zum Klimaschutz eignen. Stattdessen könnte man schlussfolgern, dass es überhaupt keine guten politischen Instrumente gebe. Aber damit übersieht man einen wichtigen Punkt: Die Hindernisse für einen effektiven Kampf gegen den Klimawandel sind in den heutigen Demokratien nicht zwingend enthalten. Im Gegenteil, sie sind mit demokratischen Idealen unvereinbar, und in einer gut funktionierenden Demokratie sollten sie beseitigt werden.

Sogar ohne die dringende Notwendigkeit, Mittel gegen die Klimakrise zu finden, hätten die Bürger gute Gründe dafür, Veränderungen zu fordern. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Wenn wir den Klimawandel nicht ernsthaft bekämpfen, werden wir auch die Demokratie nicht retten; und wenn wir die demokratischen Ideale nicht ernst nehmen, werden wir auch das Klima nicht retten.

Jan-Werner Müller ist Professor für Politik an der Princeton University. – Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2023.

110 Kommentare
H. S.

Es wäre schön, wenn in der NZZ wenigstens jeder 20. Artikel zur Energie-/Klimaproblematik von oder (interview) mit einem Physiker oder Elektroingenieur wäre. Was all die Geistes-, Sozial- und Umweltwissenschafter/innen meinen, darüber sind wir ja inzwischen sehr gut informiert. Vorschlag: Ganzseitiges Interview zur Energiestrategie mit Lino Guzzella, renommierter em. Professor für Elektrotechnik, ehemaliger ETH-Rektor und -Präsident.

Gabriele Veltman

Im übrigen hat sich das Klima auf der Erde schon seit Millionen von Jahren immer wieder grundlegend geändert, und zwar ewig lange bevor es überhaupt Menschen gab. Man frage nur die Dinosaurier. Ich denke wir überschätzen uns masslos wenn wir ernsthaft glauben, das Klima retten zu können. 

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