Glücklich werden mit Adam Smith: «Der Mensch wünscht sich, geliebt zu werden und der Liebe würdig zu sein»

Eigeninteresse fördert das Gemeinwohl: Das ist die Kurzformel von Adam Smiths «Wohlstand der Nationen». Doch wer Smith als Verteidiger von Gier anführe, habe ihn nicht verstanden, sagt der Smith-Kenner Russ Roberts. Das Streben nach Reichtum zersetze die Seele.

Christoph Eisenring 8 min
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Adam Smith (1723–1790) ist nicht nur Vater des Kapitalismus. In seiner «Theorie der ethischen Gefühle» finden sich ganz praktische Lebenshilfen.

Adam Smith (1723–1790) ist nicht nur Vater des Kapitalismus. In seiner «Theorie der ethischen Gefühle» finden sich ganz praktische Lebenshilfen.

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Herr Roberts, was empfiehlt mir Adam Smith, um glücklich zu werden?

Mit Glück verband Smith Heiterkeit und Zufriedenheit, aber auch Gelassenheit. Er sagt, dass sich der Mensch von Natur aus nicht nur wünsche, geliebt zu werden, sondern auch, der Liebe würdig zu sein. Wir wollen also nicht nur respektiert, verehrt und gepriesen werden, sondern wir wollen uns diesen Respekt auch redlich verdient haben.

Blendwerk ist ihm also verhasst.

Genau, wenn wir für etwas bewundert werden, was wir gar nicht gemacht haben, wenn wir andere täuschen, können wir das nicht geniessen. Wenn wir aber anständig sind, so Smith, ist es nicht so wichtig, dass dies anderen auffällt. Denn es spielt nicht nur eine Rolle, was andere von uns denken, sondern auch, was wir von uns selbst halten. Dies äussert sich in seinem Konzept des unparteiischen Beobachters.

Was ist damit gemeint?

Am besten kann man das übersetzen mit dem Gewissen oder damit, dass uns jemand über die Schulter blickt, der unvoreingenommen unsere Haltungen beurteilt.

Smith sagt, dass der grösste Teil des menschlichen Glücks aus dem Bewusstsein erwachse, geliebt zu werden. Wie kommt man diesem Ziel näher?

Für ihn gibt es zwei Wege. Der erste: Man wird reich, berühmt und mächtig.

Diese Leute werden vielleicht verehrt, aber doch nicht geliebt.

Für Smith sind «verehrt» und «geliebt» dasselbe. Berühmt, reich, wohlhabend oder mächtig zu sein – das sind alles Möglichkeiten, geliebt zu werden. Wenn ein König auf tragische Weise starb, machte das in der Zeit von Smith viele Leute traurig, auch wenn er nicht besonders fähig gewesen war. Smith nannte dies den glitzernden Pfad. Liebenswert zu sein, bedeutet für Smith dagegen, des Lobs, Respekts und der Verehrung auch würdig zu sein.

Damit sind wir beim zweiten Pfad.

Genau, und der ist langweiliger: Es ist der Pfad von Weisheit und Tugend. Es gibt hier eine gewisse Ironie, hat Smith selbst doch ein ruhiges Leben im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter geführt, wurde aber mit seinen beiden Werken «Die Theorie der ethischen Gefühle» und «Der Wohlstand der Nationen» ein Star. Er warnte vor dem ersten Weg, weil dieser einen dazu anstiften könnte, zu betrügen, um reich und berühmt zu werden. Und Smith war überzeugt, dass dieses Streben die Seele zersetzt.

Aber wenn eine Gesellschaft wohlhabend werden will, braucht es doch gerade Menschen, die ehrgeizig sind, die reich werden wollen, die vielleicht auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit an den Tag legen. Ist Smith mit seiner Genügsamkeit nicht etwas naiv?

Smith anerkennt, dass das Streben nach Reichtum und Macht dazu führt, dass auch andere davon profitieren. Wer ein grosses Haus hat, beschäftigt Bedienstete und hat Gärtner. Er gibt aber zu bedenken, dass dieser Hunger nach Geld und Macht uns nicht glücklich macht. Der menschliche Drang, geliebt zu werden und etwas zu bedeuten, kann zu Rücksichtslosigkeit führen, zur Ausbeutung, davor warnt er ausdrücklich.

In einer Idealwelt von Smith gäbe es also weder einen Elon Musk noch einen Jeff Bezos?

Smith sagte nicht, man solle nichts im Leben erreichen wollen, aber wir sollten nicht danach streben, wie Musk oder Bezos zu sein. Die Menschen schenken ihnen zwar viel Aufmerksamkeit, weil sie reich und erfolgreich sind. Aber das ist der falsche Weg, um geliebt zu werden. Wenn man hier nicht vorsichtig ist, jagt man einem falschen Götzen nach.

Wenn ich nun im Supermarkt eine Schokolade kaufe, muss ich dann, wenn ich Smiths Empfehlungen folge, auch an die Folgen für die Kakaobauern denken? Sollte ich also eine Fair-Trade-Schokolade kaufen statt eine herkömmliche?

Das ist ein wichtiger Punkt: Was bedeutet es, im Wirtschaftsleben eine anständige Person zu sein? Wenn ich einkaufe, will ich einen guten Deal und erwerbe für eine bestimmte Qualität das günstigste Produkt. Soll ich dabei nur auf meine Bedürfnisse achten oder auch die Verhältnisse für die Arbeiter auf dem Feld und in den Fabriken einbeziehen?

Wie würde Adam Smith die Frage beantworten?

Smith würde wohl sagen, dass unser Einkaufsverhalten unterschiedlich ist, je nachdem, ob wir online einkaufen oder beim Bäcker um die Ecke. Smiths Buch «Der Wohlstand der Nationen» dreht sich im Prinzip um das Online-Shopping, also um anonyme Märkte, auf denen das Eigeninteresse dominiert. Wenn man dagegen beim Bäcker einkauft, dessen Kinder mit den eigenen in dieselbe Schule gehen, dann geht es nicht nur um den besten Deal.

Weshalb nicht?

Wenn man weiss, dass er ein Gesundheitsproblem hat, wird man vielleicht bei ihm einkaufen, auch wenn seine Preise höher sind als diejenigen im Supermarkt. Das hat nichts mit Antikapitalismus zu tun. Kapitalismus ist nicht gleichbedeutend mit halsabschneiderischem Wettbewerb.

Aber kommen wir zur Schokolade zurück.

Zunächst, was macht einen so sicher, dass bei der Fair-Trade-Schokolade die Arbeiter besser behandelt werden als bei der konventionellen? Wenn man nur noch mit Leuten Handel treibt, bei denen man sicher ist, dass sie auch gute Menschen sind, wird die Welt schnell sehr klein. Und umgekehrt müsste dann der Verkäufer von Schokolade fragen, ob ich eine Person bin, die es verdient, beliefert zu werden. Beim Bäcker um die Ecke kann man sich das vorstellen. Aber wenn wir auf anonymen Märkten den Überblick über alle Produktionsprozesse haben wollten, würde unsere Welt und damit auch unser Wohlstand rasch schrumpfen.

Der Wohlstand wird maximiert, wenn jeder seinem Eigeninteresse folgt. So wird Adam Smiths «Der Wohlstand der Nationen» oft zusammengefasst. Smith muss deshalb zuweilen als Kronzeuge dafür herhalten, dass Gier gut sei. War das seine Absicht?

Smith macht einen Unterschied zwischen Eigeninteresse und Gier. Zu schauen, dass es einem gutgeht, ist nicht dasselbe, wie gierig zu sein. Wer gierig ist, rennt dem Geld um seiner selbst willen hinterher. Smith hat keine Achtung dafür. Wenn Smith über Eigeninteresse spricht, dann beschäftigt er sich damit, wie es in der Realität aussieht, nicht mit einem Ideal, wie die Welt aussehen müsste.

Was hat es nun mit seinem Bild von der unsichtbaren Hand auf sich, das für Liberale so wichtig ist?

Smith hat diesen Ausdruck nur zwei Mal gebraucht. Je einmal in jedem seiner Bücher. Aber er hat den Begriff nicht so genutzt, wie er heute gebraucht wird. Wir sagen ja, Kapitalismus ist eine gute Sache, weil er das natürliche Eigeninteresse der Leute so lenkt, dass daraus Wohlstand entsteht. Putzkräfte sind in den USA meist Immigranten, um die sich keine Gewerkschaft kümmert. Trotzdem zahlen alle Leute in meinem Umfeld das Zwei- oder Dreifache des Minimallohns.

Und das wohl nicht aus Wohltätigkeit?

Nein, sie wollen, dass die Person zum vereinbarten Zeitpunkt auch erscheint. Die zentrale Idee im Kapitalismus ist, dass Alternativen einen vor Ausbeutung schützen. Weil es Wettbewerb um meine Putzkraft gibt, muss ich mehr als den Minimallohn zahlen, um sie zu halten. Ich werde also wie durch eine unsichtbare Hand dazu gebracht, einen anständigen Lohn zu bezahlen. Smith hat das zwar alles verstanden, aber er hat dafür nicht den Ausdruck der unsichtbaren Hand gebraucht.

Wie braucht er die Metapher der unsichtbaren Hand?

Er verwendet den Begriff ganz generell als Ausdruck für eine unbeabsichtigte Konsequenz.

Beim «Wohlstand der Nationen» geht es um Eigeninteresse und Wettbewerb. Die «Theorie der ethischen Gefühle» gibt uns dagegen Ratschläge, wie wir glücklich werden können. Wie bekomme ich diese beiden Welten zusammen? Bin ich erfolgreicher auf Märkten, wenn ich mich moralisch verhalte? Oder macht mich die Interaktion auf Märkten zu einer besseren Person?

Smith sagt, dass das Geschäftsleben anständiges Verhalten fördere. Wenn ich will, dass jemand bei mir einkauft, muss ich darüber nachdenken, was dieser Person gefallen könnte – und nicht darüber, was mir gefallen könnte. Das Geschäftsleben fördert somit eine gewisse Empathie.

Lässt sich somit eine Brücke zwischen den beiden Welten schlagen?

Ich sehe eine Parallele. Newton hat 1687 die Gravitation entdeckt. Das war eine verrückte Idee, dass die Erde von der Masse des Monds beeinflusst wird, wenn wir an die Gezeiten denken. Es gibt also eine versteckte Kraft, die das Universum zusammenhält. Das war eine revolutionäre Idee.

Was hat das jetzt mit Smith zu tun?

Die versteckte Kraft, die Smith herausgearbeitet hat, ist der Wettbewerb, der den Bäcker dazu bringt, früh aufzustehen. Der Wettbewerb ist das Pendant zur Gravitationskraft bei Newton.

Und wo sind diese versteckten Kräfte in der «Theorie der ethischen Gefühle»?

Smith sagt, dass der «Autor der Natur», gemeint ist Gott, eine Sehnsucht in uns eingepflanzt habe, dass wir respektiert werden wollen, und den Wunsch, Missbilligung zu vermeiden. Aus diesem Grund braucht es keinen Gott, der uns mit Blitzen bestrafen muss. Anerkennung und Missbilligung wirken wie ein Preissystem, das unser Verhalten reguliert.

Nun gibt es Studien, die zeigen, dass sich Wirtschaftsstudenten, die viel vom rationalen Nutzenmaximierer hören, egoistischer verhalten als Studierende anderer Fachrichtungen. Höhlt das Eigeninteresse die intrinsische Motivation aus?

Ich versuche es mit einem Gedankenexperiment: Was würden Sie tun, wenn ein Portemonnaie auf der Strasse läge? Viele Ökonomen würden raten, dass man das Portemonnaie behalten soll, weil man dann mehr Geld hat, von dem man schöne Dinge kaufen kann.

Das wäre der Nutzenmaximierer . . .

Ja, aber ist das nicht eine fürchterliche Antwort? Es mag sein, dass die meisten Leute so handeln, aber das heisst doch nicht, dass man so handeln soll. Man verwechselt, was ist, mit dem, was sein sollte. Es ist nicht einmal sicher, ob einen das glücklich macht, wenn man ein Gewissen hat. Und wenn man kein Gewissen hat, wäre es vielleicht eine gute Idee, sich eines zuzulegen.

Hier könnte Smiths unparteiischer Beobachter doch sehr hilfreich einwirken.

Genau, diese Idee ist alltagstauglich. Selbst wenn niemand zusieht – dann sieht man sich immer noch selbst zu. Und man wird sich später schämen, wenn man das Portemonnaie an sich genommen hat. Als die Religion noch eine grössere Bedeutung hatte, dachte man, dass Gott zusieht. Aber wenn man nicht an Gott glaubt, dann sieht man sich eben selbst zu. Und wenn man noch etwas Selbstachtung hat, bringt man die Geldbörse zurück. Wir möchten doch alle in einer Gesellschaft leben, wo die meisten das Portemonnaie zurückgeben.

Podcaster, Smith-Kenner und Uni-Präsident

Russ Roberts
PD

Russ Roberts

Seit 2006 bestreitet der 68-Jährige jede Woche einen stündigen Podcast, in dem er sich mit Gästen über ökonomische und philosophische Fragen austauscht. Mittlerweile kommen über 825 Episoden zusammen, darunter 12 mit Nobelpreisträgern. Einer von ihnen, Gary Becker, war auch Roberts’ Doktorvater in Chicago. Der Ökonom ist Präsident des privaten Shalem College in Jerusalem und Forscher an der Hoover Institution in Stanford. Er vertritt klassisch liberale Werte, ist also für einen schlanken Staat und Selbstverantwortung. Sein Buch «How Adam Smith Can Change Your Life» fasst in verständlichen Worten Smiths «Theorie der ethischen Gefühle» zusammen. Sein jüngstes Buch heisst «Wild Problems: A Guide to the Decisions That Define Us».

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