Kommentar

Offen und doch sicher? Mit der neuen China-Doktrin ist die EU auf dem richtigen Weg

Wirtschaftliche Offenheit birgt auch Risiken. Vor allem dort, wo es um die Beziehung zu rivalisierenden Mächten geht. Die EU versucht, den richtigen Schluss daraus zu ziehen.

Andreas Ernst 35 Kommentare 3 min
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Ein Schiff des chinesischen Cosco-Konzerns im Hamburger Hafen. Die Firma hat sich nach langer Kontroverse bei einem Terminal eingekauft.

Ein Schiff des chinesischen Cosco-Konzerns im Hamburger Hafen. Die Firma hat sich nach langer Kontroverse bei einem Terminal eingekauft.

Imago / www.imago-images.de

Die China-Doktrin der Europäischen Union erwähnt China mit keinem Wort. Das am Dienstag in Brüssel vorgestellte Papier heisst auch nicht so, sondern «Europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit». Aber es geht natürlich vor allem um China.

Genauer um die Art und Weise, mit der die EU in Zukunft mit ihrem wichtigsten Wirtschaftspartner umgehen soll. Die Antwort aus Brüssel lautet: Wir brauchen eine Risikokultur, welche die Beziehungen zu unseren Partnern und Konkurrenten nicht nur durch die wirtschaftliche Brille betrachtet, sondern strategische und geopolitische Einschätzungen mit einbezieht.

Es sollen die Abhängigkeiten von jenen Ländern abgebaut werden, die ihre Wirtschaftsmacht als Waffe gegen Europa einsetzen, formulierte es der Wirtschaftskommissar Thierry Breton. Das Stichwort dazu, das den Weg in den EU-Slang gefunden hat, heisst «de-risking», auf Deutsch etwa Risikoreduktion.

Europa, schreibt die Kommission weiter, solle den Nutzen seiner wirtschaftlichen Offenheit maximieren und gleichzeitig deren Risiken minimieren. Das klingt zunächst wie die Quadratur des Kreises, ist aber ein Optimierungsproblem.

Ein Zeitalter der Regulierung bricht an

Klar ist, dass auch für die EU die Ära einer möglichst deregulierten Globalisierung zu Ende gegangen ist. Dafür ist aber nicht nur die Konfrontation mit China verantwortlich, die sich nach 2020 mit Sanktionen und Gegensanktionen rasch zuspitzte. Hinzu kamen zwei externe Schocks: die Covid-Pandemie mit ihren Lieferkettenproblemen und Russlands Angriff auf die Ukraine im vergangenen Jahr. Seither wird überall reguliert.

Brüssel schlägt drei Überwachungsmechanismen vor: die Kontrolle von ausländischen Investitionen in kritische Infrastruktur und Branchen. Die Kontrolle sicherheitsrelevanter Exporte zu «System-Rivalen». Und die Kontrolle von Investitionen im Ausland, die heikle Technologien wie KI, Quantencomputer oder hochwertige Halbleiter betreffen.

Die EU geht damit einen grundsätzlich vernünftigen Weg. Zu Recht vermeidet sie die Rhetorik der Abnabelung von China, die unter dem Schlagwort «de-coupling» mancherorts propagiert wird. Europa soll auch in Zukunft keine Politik betreiben, die China nur als Bedrohung wahrnimmt.

Aber es muss als ein souveräner Akteur eine Sicherheitskultur entwickeln, die über den Schutz des eigenen Binnenmarktes hinausgeht. Wirtschaftliches Handeln soll in einem weiten strategischen Kontext betrachtet werden.

Schwierige Debatten innerhalb der EU

Die Umsetzung der neuen «Doktrin» wird nicht einfach werden. Die Diskussion der Staats- und Regierungschefs Ende Juli wird mit Sicherheit kontrovers verlaufen. Denn die Mitgliedstaaten haben sehr unterschiedliche wirtschaftliche Verbindungen mit China. Entsprechend werden sich auch die Kosten der neuen Vorsicht ungleich verteilen.

Für Frankreich und vor allem für Deutschland sind die Beziehungen mit China für wichtige Branchen geradezu existenziell. Ganz anders verhält es sich bei manchen osteuropäischen Staaten. Litauen etwa exponiert sich fast risikofrei als Falke, wenn es Peking in der Taiwanfrage herausfordert.

Es scheint aber immerhin einen Konsens zu geben, dass die neue Strategie der Risikominimierung auf Evidenz gründen soll. Es soll keine Kontrollen auf Vorrat geben, sondern nur dort, wo tatsächlich Gefahren lauern. Dass die entsprechenden Einschätzungen je nach Interessenlage umstritten sein werden, ist allerdings absehbar.

Dennoch: Die EU hat mit der neuen Strategie in einem zentralen Bereich, der Handels- und Industriepolitik, eine Marschrichtung vorgegeben, die stimmt. Es liegt jetzt an den Mitgliedstaaten, die richtige Balance zu finden zwischen Offenheit und Sicherheit.

35 Kommentare
L. M.

"Es sollen die Abhängigkeiten von jenen Ländern abgebaut werden, die ihre Wirtschaftsmacht als Waffe gegen Europa einsetzen, formulierte es der Wirtschaftskommissar Thierry Breton." Das ist eben das gute an Demokratien. Sie lernen dazu, steuern um, ohne wirtschaftliche oder menschliche Katastrophen.  Well done EU.

Francis Gerz

Natürlich geht es der EU im Grunde genommen, um «de-coupling», aber es soll kommunikativ nice sein und daher wird über "de-risking" geschrieben ... Eine typische alte chinesische Strategie wird da angewendet. Vorne ein grosses Lächeln und hinten ein grosses FU. Die KP China Strategie sagt dann auch klar, sie wollen die Nummer 1 Weltmacht werden ... Sie wissen jetzt wieso die Chinesen immer Lächeln. 

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