Kommentar

Am Ende des Sanktions-Lateins: Wie schwächt man Diktatoren?

Sanktionen gegen Schreckensregime sind gut fürs Gewissen der Politiker, die sie beschliessen. Doch oft laufen die Strafmassnahmen ins Leere. Es braucht eine Diskussion über unkonventionelle Ansätze.

Marco Kauffmann Bossart 93 Kommentare 5 min
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Bombenstimmung trotz harten Sanktionen: Nordkoreas Machthaber verfolgt den Test einer Antischiffrakete.

Bombenstimmung trotz harten Sanktionen: Nordkoreas Machthaber verfolgt den Test einer Antischiffrakete.

KCNA / EPA

Nordkorea ist ein Extremfall auf der «Achse des Bösen». Ein brutales Regime, welches das eigene Volk foltert, aushungert, einsperrt. Ein Unrechtsstaat, der wie besessen Atombomben hortet und wüste Drohungen gegen Nah und Fern ausstösst. Kein Wunder, zielen die von den meisten Staaten mitgetragenen Sanktionen darauf ab, die Kim-Diktatur auf Kurs zu bringen: Handelsverbote für Schweröl, Embargos für Luxusgüter, scharfe finanzielle Sanktionen gegen Amtsträger und Unternehmen sowie Reisebeschränkungen für die Nomenklatura.

Hat das Sanktionskorsett Kim Jong Un dazu gebracht, sein Atomprogramm zu überdenken oder seine Arbeitslager zu schliessen? Fehlanzeige. Je umfassender die westlichen Sanktionen, desto breiter spannen China und Russland ihren Schutzschirm über Kim auf.

Nicht besser sieht es in Myanmar oder Afghanistan aus. Nach einem halbdemokratischen Intermezzo, das ein Jahrzehnt hielt, rissen die Generäle in Naypyidaw die Macht 2021 wieder an sich. Seither wütet die Junta. Sie radiert Dörfer aus, in denen sie Rebellen vermutet. Sie tötet Dissidenten und wirft Nichtregierungsorganisationen aus dem Land. Internationale Kritik perlt an ihr ab. Myanmar steht auf dem Sanktionsbarometer weit oben: Wirtschaftliche, politische, multilaterale, regionale, bilaterale Sanktionen – die demokratische Staatenwelt hat das ganze Sortiment aufgefahren. Zeigen die Generäle Einsicht? Mitnichten. Und China geschäftet ohne Skrupel mit der Junta.

Geringe Erfolgsquote der Strafmassnahmen

Auch die bärtigen Herrscher Afghanistans stecken das harte Sanktionsregime des Westens weg. Ungerührt von Strafmassnahmen steinigen sie Verbrecher, verweigern Frauen elementare Freiheitsrechte und treiben Kinder lieber in den Hungertod, als von ihrer Steinzeit-Ideologie abzuweichen. Gleichwohl sitzen die Taliban fest im Sattel. Ähnlich ist es in Iran. Die Sanktionen gegen das Mullah-Regime werden immer weiter verschärft, doch haben sich die Herrscher längst damit arrangiert.

Die Wirksamkeit von Sanktionen wird auch wissenschaftlich untersucht. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass sie zwar beträchtliche wirtschaftliche Schäden in den mit ihnen belegten Staaten anrichten. Das bedeutet indes nicht, dass sie ihre politischen Ziele erreichen.

Agathe Demarais von der Economist Intelligence Unit, Autorin des Buchs «Backfire: How Sanctions Reshape the World Against U.S. Interests», hat die amerikanischen Sanktionen seit den 1970er Jahren analysiert. Nur in 13 Prozent der Fälle sei es gelungen, das Verhalten der mit Sanktionen belegten Länder im erhofften Sinn zu ändern. «Sanktionen erweisen sich manchmal als effektiv, doch meistens sind sie es nicht, und es ist schwierig, präzis zu prognostizieren, wann sie wirken», bilanziert Demarais. Allerdings vermittelt die Wissenschaft kein einheitliches Bild. Eine Untersuchung dreier amerikanischer Wissenschafter, die auf globaler Ebene Sanktionen zwischen 1950 und 2022 auswertete, ermittelte eine Erfolgsquote von immerhin 42 Prozent.

Bisweilen entpuppen sich Sanktionen aber nicht bloss als wirkungslos, sie helfen sogar dem mit Sanktionen belegten Regime. Sie stärken seinen Status als angebliches Opfer unbotmässiger westlicher Druckversuche auf sein Land. Zudem erlauben sie es Autokraten, von eigenem Versagen abzulenken. Sie und ihre Hofberichterstatter verbreiten etwa, Embargos verursachten die missliche Versorgungslage. Oft verfängt diese Rhetorik und bindet das Volk stärker an die Führung. Die Machthaber gewinnen mehr Kontrolle über die Wirtschaft, weil im Zuge von Sanktionen Verstaatlichungen zunehmen und Vetternwirtschaft grassiert.

Schon in der Antike wurden Sanktionen verhängt. Perikles, ein führender Staatsmann Athens, belegte die Stadt Megara 432 vor Christus wegen eines Landstreits und der Tötung eines Athener Gesandten mit einem Handelsembargo. Das Megara-Dekret gilt als weltweit erste Wirtschaftssanktion. Auch Napoleon operierte mit Sanktionen. Er scheiterte allerdings mit dem Versuch, die Briten mit einer Handelsblockade in die Knie zu zwingen.

Auch «smarte Sanktionen» verpuffen oft

Trotz zweifelhafter Wirksamkeit haben Sanktionen nichts an Popularität eingebüsst. Aus drei Gründen: Erstens nutzen Politiker sie, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Zweitens lassen sie sich relativ schnell umsetzen. Drittens sind sie mit weniger Risiken behaftet als etwa eine militärische Intervention. Gelegentlich lösen sie gar eine Kettenreaktion aus. Im Falle Russlands überbieten sich Amerika und Europäer geradezu mit Embargos, Boykotten und Einreiseverboten. Die internationale Gemeinschaft kann sich rühmen, Unrecht nicht einfach zu tolerieren.

Sanktionsbefürworter betonen, aus Fehlern sei gelernt worden. «Smart sanctions» heisst das Zauberwort. Statt die breite Bevölkerung zu treffen, sollen sie, massgeschneidert, die Machthaber und die mit ihnen verbandelten Köpfe strafen. Meist wird aber das hehre Ziel verfehlt. Die Elite verfügt über die Mittel, sich auf Umwegen Limousinen, Markenprodukte oder Reisemöglichkeiten zu verschaffen.

Bemerkenswerterweise laufen selbst positive Anreize oft ins Leere. Kann man Nordkoreas Machthaber mit der Aussicht auf eine Lockerung des Sanktionenkorsetts und die tonnenweise Lieferung von Nahrungsmitteln an den Verhandlungstisch locken? Das wurde mehrfach versucht und ist mehrfach gescheitert. Auch die Taliban oder Myanmars Generäle ignorieren Angebote für eine Normalisierung der Beziehungen.

Subversive Kraft von Öffnungsschritten

Der renommierte Politökonom Bruno S. Frey plädiert für ein radikales Umdenken im Umgang mit Schreckensregimen. Er spricht sich für einen verstärkten Austausch mit solchen Staaten aus – also genau das Gegenteil der heutigen Politik. Das hiesse zum Beispiel: Investieren in Afghanistan, weil ausländische Firmen westliches Denken nach Kabul bringen. Oder nach Nordkorea reisen, weil Touristen das von der Propaganda gezimmerte Zerrbild einer feindlich gesinnten oder wirtschaftlich unterlegenen Aussenwelt unterlaufen. Mit anderen Worten: die subversive Kraft von Öffnungsschritten nutzen.

«Diktatoren hassen es, wenn es ihnen versagt bleibt, alles zu diktieren und zu kontrollieren. Sie würden sich lieber abschotten», urteilt der Politökonom Frey. Das bedeutet allerdings keinen Kuschelkurs gegenüber Auto- und Plutokraten. Westliche Länder sollten trotz Öffnungsschritten Unrecht benennen, aber die eigenen Interessen nicht aus dem Blick verlieren, postuliert der Schweizer Wissenschafter.

Also alle Sanktionen aufheben? Wohl kaum. Die Hoffnungen, Russland oder China mit Öffnungsschritten auf einen demokratischen Pfad zu führen, haben sich zerschlagen. Umgekehrt belegt die Heftigkeit, mit der mit Sanktionen belegte Länder sich gegen solche Strafmassnahmen wehren, dass sie durchaus schmerzen.

Nur schon die Symbolkraft, die Sanktionen ausstrahlen, gibt ihnen eine Existenzberechtigung. Wer Sanktionen ausspricht, drückt sein Missfallen gegenüber denen aus, die für Angriffskriege, Massaker oder ethnische «Säuberungen» verantwortlich sind. Gleichzeitig sollten sich demokratische Länder kritischer mit ihren Instrumentenkasten auseinandersetzen. Wer akzeptiert, dass Sanktionen ihre Ziele nur teilweise erreichen, öffnet sich eher für unkonventionelle Ansätze, wie sie etwa der Politökonom Frey propagiert.

Im Austausch mit Kim und den Taliban

Was könnte dies beispielsweise im Fall Nordkoreas bedeuten? Statt an dem Ziel festzuhalten, Kim mit Sanktionen zur Aufgabe des Atomprogramms zu bewegen, sollte der Fokus darauf gerichtet sein, das Risiko eines bewaffneten Konflikts auf der koreanischen Halbinsel zu reduzieren. Ein Mittel dazu wären Abrüstungsverhandlungen, um Kims Abschreckungspotenzial zumindest einzuschränken. Das wäre schon ein Fortschritt, denn Amerika und seine Partner müssen sich mit der unangenehmen Tatsache abfinden, dass die Kombination von Zuckerbrot und Peitsche, die auf eine vollständige Liquidation des Atomprogramms abzielt, gescheitert ist.

Nur: Lohnt es sich überhaupt, mit Herrschern wie den Taliban oder der Kim-Dynastie Gespräche zu führen? Die Erfolgschancen muten äusserst gering an. Kabul, Pjongjang oder Naypyidaw haben die Brücke zur demokratischen Welt längst abgebrochen. Was diese wünscht, kümmert sie nicht.

Dennoch wäre es unklug und gefährlich, diese Territorien des Schreckens sich selber und anderen Unrechtsstaaten zu überlassen. Eine Abschottung hilft weder den afghanischen Frauen, noch bringt sie das brutale Regime in Myanmar ins Wanken.

Nicht ausgeschlossen ist, dass es im Austausch mit totalitären Staaten gelingt, den pragmatischen Flügel der Elite zu stärken. Diesen gibt es in Afghanistan ebenso wie in Myanmar. Auch repressive Regime stellen keinen monolithischen Block dar. Gleichwohl bleibt die ernüchternde Erkenntnis: Verlässliche Rezepte gegen Schreckensregime existieren nicht. Daher lohnt es sich, mit mehr Experimentierfreudigkeit Alternativen zum Sanktions-Dogma auszuprobieren und daraus Lehren zu ziehen.

93 Kommentare
Rudolf Ott

In Herrn Bossart Beitrag tauchen alte bekannte Handlungsstrategien auf. WANDEL DURCH HANDEL ergänzt durch TOURISMUS. Putin und Xi haben diese Strategie auflaufen lassen. Erdogan geht ähnliche Wege, trotz Tourismus. Die Touristen wollen sich erholen, Spaß haben und nicht politisch agitieren. Möglicherweise sollten wir die kulturelle Perspektive ändern. Die westlichen Werte sagen dem Völkern außerhalb Europas nichts. Sie sind in einer traditionellen Kultur/Religion verhaftet, die ihnen eine irgendwie geartete Lebensperspektive gibt. Es sei denn, man sieht in einer Revolution die bessere Alternative, die sehr viel Leid und Disziplin erfordert. Erhellend dazu Susanne Schröter: GLOBAL GESCHEITERT? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthaß.

Maria Dr. Scholz

Aber nicht nur die Engländer waren so dumm mit Hitler zu verhandeln. Sogar Stalin, der selbst Diktator war, hat mit Hitler verhandelt und sogar einen Vertrag mit dem Diktator Hitler geschlossen, den Hitler nicht eingehalten hat. Ja, daran sieht man doch, dass sogar Diktatoren schon so dumm waren mit einem anderen Diktator zu verhandeln und nichts ist dabei herausgekommen. Dass wir überhaupt darüber diskutieren beweist eigentlich nur die Dummheit der Menschen. Das hat auch schon der alte Schopenhauer gesagt, und der Mann hatte recht.