Kommentar

Plötzlich haben alle Angst vor Wettbewerb: Die Schweiz verspielt, was sie erfolgreich gemacht hat

Man mag von den Verhandlungen mit der EU halten, was man will. Sie illustrieren jedoch eine bedenkliche Entwicklung. Ob Bahnverkehr, Gesundheitswesen oder Strom: In der Schweiz hält man Wettbewerb zunehmend für Teufelszeug.

Christoph Eisenring 106 Kommentare 3 min
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Darf es ein bisschen Wettbewerb sein? Flixtrain möchte von München nach Zürich fahren. Das sorgt in der Schweiz für rote Köpfe.

Darf es ein bisschen Wettbewerb sein? Flixtrain möchte von München nach Zürich fahren. Das sorgt in der Schweiz für rote Köpfe.

Christoph Hardt / Imago

Der Reichtum der Nationen beruht auf Wettbewerb. Das ist die Erkenntnis des Kapitalismusvaters Adam Smith, der vor kurzem 300 Jahre alt geworden wäre. Die Schweizer Wirtschaft gilt international als besonders wettbewerbsfähig. Jedenfalls hat ihr das gerade wieder das Lausanner Management-Institut IMD bescheinigt: Hinter Dänemark und Irland liegt die Schweiz auf dem dritten Platz. Kleine, agile und offene Volkswirtschaften dominieren die Rangliste.

Mehr Wettbewerb ist keine Konzession

Die Firmen in kleinen Ländern müssen sich nämlich fortwährend anpassen, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen können. Das ist der Schweiz in der Vergangenheit gut gelungen. Und doch: In letzter Zeit zeigt sich in der Schweiz eine Ablehnung gegenüber allem, was nach mehr Wettbewerb riecht.

Symptomatisch dafür ist die Diskussion über eine Prise Wettbewerb bei der Bahn. Der Bundesrat lotet derzeit aus, ob man auf internationalen Strecken Wettbewerb durch ausländische Bahnfirmen zulassen könnte, was offenbar die EU wünscht. Konkret geht es um Flixtrain. Der Ableger von Flixbus möchte die Strecke München–Zürich bedienen.

In einem Beitrag dazu auf SRF war von «Konzessionen an die EU» die Rede, und die Eisenbahnergewerkschaft durfte ihre Befürchtungen über Sozialdumping ausbreiten. Dass es auch noch die Spezies der Konsumentin gibt, die einen Vorteil von mehr Konkurrenz auf der Schiene hätte, blieb unerwähnt.

Beispiel Nummer 2: das Gesundheitswesen. Hier gilt in der Schweiz das Territorialprinzip. Die Krankenkassen begleichen in der Regel nur Leistungen, die im Inland erbracht werden. Ähnlich wie bei den Bahnen hat man um die Schweiz einen Zaun gezogen. Dabei könnte auch hier die Öffnung der Landesgrenzen zu einem Qualitäts- und Kostenwettbewerb führen, der den Patienten zugutekommt. Krankenkassen könnten neue Versicherungspakete schnüren. Weshalb nicht zur Psychotherapie nach Vorarlberg oder zur Prostataoperation nach Hamburg, wenn dort die Qualität gut ist?

Umgekehrt dürften Patienten aus der EU Schweizer Spitäler aufsuchen, was deren Auslastung verbessern hülfe und ihnen zusätzliche Einnahmen verschaffte. Statt dass der Staat immer mehr ins Gesundheitswesen eingreift und Kostenvorgaben macht, sollte man dem Wettbewerb eine Chance geben. Doch auch hier: Das Positivste, was man aus der Politik zur Idee einer Patientenmobilität zu hören bekam, war, dass diese «keine Katastrophe» wäre.

Das dritte Beispiel ist schliesslich der Strommarkt. Hier sind die Konsumentinnen auf Gedeih und Verderb von ihrem Versorger abhängig. Wenn dieser Versorger teuren Strom einkauft, müssen sie die Rechnung begleichen, ohne ihn mit einem Wechsel bestrafen zu können. Will man mit der EU ein Stromabkommen abschliessen, müsste man indes ausländische Wettbewerber zulassen – und Wahlfreiheit einführen. Immerhin: Laut einer Umfrage des Verbands der Elektrizitätsunternehmen bejahen 52 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine vollständige Strommarktöffnung mit freier Wahl. Das ist ein Hoffnungsschimmer.

Wer von der Hochpreisinsel spricht

Doch wo ist der Politiker, der sich heutzutage noch für eine Liberalisierung einsetzt? Wo die Politikerin, die selbstbewusst mehr Wettbewerb verlangt? Stattdessen scheint die Aussicht auf mehr Markt Angst und Schrecken zu verbreiten, äussert man Bedenken und Sorgen.

Doch eine Marktöffnung ist keine «Konzession» an einen Gegner, sondern steht im ureigenen Interesse von Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn also ein Politiker das nächste Mal von «Kostenexplosion im Gesundheitswesen» oder der «Hochpreisinsel Schweiz» spricht, sollte man ihm die Gretchenfrage stellen: Wie hältst du es mit dem Wettbewerb?

Gewiss, unter Liberalen gibt es zur EU unterschiedliche Meinungen. Dass die Schweiz Märkte öffnen sollte, selbst wenn sie dies einseitig tut, müsste aber unter allen Liberalen Sukkurs finden – und das nicht nur im Adam-Smith-Jubiläumsjahr.

106 Kommentare
Daniel Heierli

An manchen Orten funktioniert Wettbewerb, an andern nicht. Dort, wo natürliche Monopole bestehen, funktioniert er nicht. Ein Bahn- oder Stromnetz ist ein natürliches Monopol. Auf einem solchen Netz können verschiedene Konkurrenten nicht einfach freies Marktwirtschafterlis spielen. Auf dem Bahnnetz braucht es einen sorgfältig ausgearbeiteten Fahrplan. Auf dem Stromnetz braucht es eine ständige Austarierung von Produktion und Verbrauch. Und auf beiden Netzen würden alle betroffen, wenn ein einzelner Konkurrent Mist bauen würde. Eine Vergabe einzelner Linien an private Firmen ist nicht ausgeschlossen. Man muss sich aber bewusst sein, dass eine solche niemals die Verantwortung für ein funktionierendes Gesamtsystem übernehmen wird, und man muss dies gebührend berücksichtigen.

Christoph Kramer

Nichts gegen eine freie Marktwirtschaft! Was aber nicht funktioniert und deshalb tunlichst zu vermeiden ist, ist das Mischen von Marktwirtschaft und Staatsbetrieb: Im Gesundheitswesen agieren Pharmabetriebe, Spitäler, Ärzte und Versicherer nach marktwirtschaftlichen Kriterien. Demgegenüber garantiert der Staat 8,9 Mio Kunden, welche ohne Kostenobergrenze die Zeche zu bezahlen haben. Jede einzelne Prämienabrechnung erinnert zwischenzeitlich daran, wo das hinführt! Dass jedes Dorf mit dem ÖV erreichbar sein muss, steht bei uns in der Verfassung. Selbstredend sind nicht alle ÖV-Verbindungen rentabel. Gut rentierende Strecken müssen deshalb weniger rentable Linien quer subventionieren. Der Rest bezahlt der Steuerzahler! Wenn nun private Unternehmen auch noch die Rosinen picken dürfen, so bricht auf den rentablen Strecken den bisherigen Leistungserbringern ein Teil des Gewinns weg, was zusätzlich vom Steuerzahler kompensiert werden müsste. Konkret heisst das, dass der Steuerzahler indirekt die billigen Tickets z.B. von Flixbus und Flixtrain finanziert. Der liberalisierte Strommarkt hat dazu geführt, dass jede Gemeinde einen eigenen Strompreis hat. Ein Kasino-Effekt in der Grundversorgung! Wollen wir das?

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