Kommentar

Nicht jede Wetterkapriole ist eine Folge des Klimawandels. Wer anderes behauptet, verbreitet unnötig Ängste

Der globale Temperaturanstieg erhöht die meteorologischen Risiken. Doch wer alle ungewöhnlichen Umweltphänomene der Erderwärmung zuschreibt, nimmt in Kauf, dass manche Menschen kopflos reagieren.

Sven Titz 291 Kommentare 6 min
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Schneestürme sind als Beispiel für die Wirkungen des Klimawandels ungeeignet. Das Bild zeigt die Folgen eines Schneesturm in Ocean Grove, New Jersey (4. Januar 2018).

Schneestürme sind als Beispiel für die Wirkungen des Klimawandels ungeeignet. Das Bild zeigt die Folgen eines Schneesturm in Ocean Grove, New Jersey (4. Januar 2018).

Julio Cortez / AP

Haben Sie heute schon aus dem Fenster geschaut und dem Klimawandel ins finstere Antlitz geblickt? Nein? Dann wird es aber Zeit. Geht es nach einem grossen Teil der deutschsprachigen Medien, muss heutzutage fast jede Laune des Wetters und jede eigenartige Umwelterscheinung auf den Klimawandel zurückgeführt werden.

Das gilt vor allem dann, wenn schwere Schäden auftreten oder es spektakuläre Bilder gibt. Also praktisch jeden Tag. Irgendwo auf der Welt tobt immer ein Unwetter. Dank den Handys entstehen heute auch Unmengen an Fotos und Videos. Oft wird behauptet, es handle sich um Ereignisse, die ohne den Klimawandel gar nicht stattgefunden hätten.

Leere Kanäle und Blizzards als Beleg für den Klimawandel?

Diese Manie führt inzwischen zu bizarren Fehlinterpretationen. Als im Februar einige flache Kanäle in Venedig für kurze Zeit nahezu leerliefen, tönte es landauf, landab, eine der Ursachen sei die Trockenheit in Norditalien und dahinter stecke letztlich der Klimawandel.

Der Pegelstand in den Kanälen von Venedig ist allerdings genauso hoch wie in der angrenzenden Adria, dem Teil des Mittelmeers also, mit welchem die Lagune der Stadt in Verbindung steht. Verursacht wurde der tiefe Wasserstand, der ohnehin nur sehr kurz – jeweils zu Zeiten der Ebbe – aufgetreten ist, von einer Kombination aus Neumond und hohem Luftdruck. Von der Dürre wurde er nicht verursacht und damit auch nicht vom Klimawandel.

Am 17. Februar 2023 fiel der Wasserstand in Venedig bei Ebbe so stark, dass in manchen Kanälen Boote auf Grund lagen.

Am 17. Februar 2023 fiel der Wasserstand in Venedig bei Ebbe so stark, dass in manchen Kanälen Boote auf Grund lagen.

Manuel Silvestri / Reuters

Eine besonders beliebte Fundgrube für wilde Wetterstorys sind die USA. Ende Dezember versetzte ein Wintereinbruch weite Teile des Landes in eine plötzliche Froststarre. Es dauerte nicht lange, bis der Temperatursturz von manchen für rekordverdächtig erklärt und auf den Klimawandel zurückgeführt wurde.

Extreme Temperaturschwankungen gehörten in den USA allerdings schon immer zum meteorologischen Kochbuch dazu. Der Grund sind die Rocky Mountains, welche durch ihre Nord-Süd-Ausrichtung die Westwinde bremsen. Arktische Kaltluft kann dadurch ungehindert weit in den Süden vordringen. «Blizzards» heissen die typischen Schneestürme, die in der Folge oft entstehen.

Der Klimawandel verändert das Wetter anders als gedacht

Hatten die beiden Phänomene also überhaupt nichts mit dem Klimawandel zu tun? Nun, es gibt durchaus eine Verbindung, aber sowohl bei den trockenen Kanälen in Venedig als auch beim Kälteeinbruch in den USA war der Klimawandel eher ein Gegenspieler.

Wegen der Erderwärmung steigt der Meeresspiegel – langsam zwar, aber stetig. Pro Jahr klettert der Pegel um drei bis vier Millimeter. In den Kanälen Venedigs sind darum tiefe Wasserstände schon viel seltener geworden. Ebenfalls seltener werden wegen der Erderwärmung auch Episoden mit extremer Eiseskälte. Für Nordamerika gilt das ebenso wie für Europa.

Die reflexartige Verknüpfung von Wetteranomalien mit dem Klimawandel ist nicht allein mit Unwissenheit oder Gedankenlosigkeit zu erklären. Sondern auch mit einem modernen Mythos: Weithin hat sich die Vorstellung verbreitet, die Erderwärmung führe zu immer chaotischeren, extremeren Wetterschwankungen. Doch das ist eine Verzerrung der Lage. Wissenschaftliche Studien zeichnen ein komplexeres Bild des Wandels: Manche Wetterentwicklungen gehen durchaus in eine problematische Richtung, andere aber eben nicht.

Wetter und Klima im Kleiderschrank

Dass die These vom wachsenden Chaos in der Atmosphäre so populär ist, liegt nicht zuletzt daran, dass niemand ein intuitives Verständnis des Klimas hat. Mit dem Wetter ist es vergleichsweise einfach: ein wolkiger Tag, ein sonniger Tag, ein gewittriger Tag – in solchen Schwankungen zeigt sich seine launenhafte Natur. Die Analysen des Wetters über Jahrzehnte oder Jahrhunderte, die für den Begriff des Klimas so wichtig sind, bereiten viel grössere Schwierigkeiten.

Dabei geht es im Grunde um Statistik. Doch mit Aussagen über Mittelwerte, Zufallsverteilungen und Standardabweichung tun wir Menschen uns schwer. Wir sind daran gewöhnt, den Einzelfall zu betrachten. Mit dem kommt man beim Klima aber nicht weit.

Ein anschauliches Beispiel kann vielleicht helfen: Was wir morgens aus dem Kleiderschrank nehmen, darüber entscheiden wir mit Blick auf das Wetter. Das Klima hingegen bestimmt, welche Kleider wir in den Kleiderschrank ursprünglich hineingesteckt haben. Sinkt die Zahl der Wollpullover im Schrank und nimmt die Zahl der T-Shirts zu, liegt das vermutlich am Klimawandel.

Das Wetter verändert sich auf komplexe Weise

Alle Wettererscheinungen, die wir heutzutage erleben, haben immer irgendetwas mit dem Klimawandel zu tun. Schliesslich befindet sich die ganze Atmosphäre wegen der Erwärmung in einem anderen Gesamtzustand als früher. Die Wettererscheinungen, die man heutzutage erwarten kann, haben sich darum auf der ganzen Erde verändert.

Doch die tagtäglichen Ausprägungen des Klimawandels sehen im Detail oft anders aus, als es der moderne Mythos vom Wetterchaos suggerieren würde. Die Atmosphäre hat keineswegs einen «Klimawandel-Defekt» erlitten, wie das manche zu glauben scheinen.

Die meteorologischen Grundmechanismen sind die gleichen geblieben wie in der Vergangenheit. Das Wetter wird nicht pauschal immer wilder, sondern in ganz bestimmten Aspekten. Insgesamt betrachtet nehmen die Probleme darum zu.

Es gibt mehr Hitzetage und häufiger Sturzregen

In den vergangenen dreissig Jahren ist zum Beispiel das Risiko gestiegen, dass wir im Sommer schweisstreibende Temperaturen erleben. Andererseits ist es immer unwahrscheinlicher geworden, dass Ende April noch Nachtfröste in tief gelegenen Regionen der Schweiz auftreten.

Die Gefahr, dass in kurzer Zeit extrem hohe Regenmengen vom Himmel kommen, ist gewachsen. Die Überschwemmungen in Kalifornien in den letzten Wochen wurden zwar nicht direkt durch die Erderwärmung verursacht, aber es wäre absolut plausibel, wenn sie dadurch verstärkt wurden. In vielen Regionen steigt ausserdem die Wahrscheinlichkeit von Dürren, zum Beispiel rings um das Mittelmeer.

Wegen einer Dürre sank der Wasserstand im Lindoso-Stausee im Nordwesten Spaniens so stark ab, dass das alte Dorf Aceredo zum Vorschein kam. Die Aufnahme stammt vom 11. Februar 2022.

Wegen einer Dürre sank der Wasserstand im Lindoso-Stausee im Nordwesten Spaniens so stark ab, dass das alte Dorf Aceredo zum Vorschein kam. Die Aufnahme stammt vom 11. Februar 2022.

Emilio Morenatti / AP

Etwas komplizierter verhält es sich mit dem Wind. Die Häufigkeit tropischer Wirbelstürme etwa nimmt, anders als oft behauptet, nicht zu. Allerdings steigt die Intensität der allerstärksten Exemplare.

Die Kollateralschäden sind hoch

Wer vor dem Klimawandel warnt und mehr Klimaschutz fordert, betrachtet sich in der Regel als vernunftbestimmter, kritischer Mensch. Man tritt der Desinformation mit Faktensammlungen und Richtigstellungen entgegen. Das ist schön und gut. Wer sich ansieht, mit welch dubiosen Mitteln manche Gruppen den Klimawandel infrage stellen, kann nachvollziehen, dass solche Bemühungen tatsächlich notwendig sind. Wird das Engagement aber zum Übereifer, kann die vermeintliche Vernunft ins Gegenteil umschlagen.

Es ist nicht einmal sicher, ob überzogene Meldungen von einem vermeintlichen Wetterchaos zu vermehrtem Engagement für das Klima führen. Doch die Kollateralschäden in der Gesellschaft sind bedenklich hoch.

Auf der Strecke bleibt nicht nur die Wahrheitstreue. Die fixe Idee eines ausser Kontrolle geratenen Klimasystems trägt auch dazu bei, Phänomene zu pathologisieren, die man früher zu den gewöhnlichen Wettererscheinungen gezählt hätte. Ist die Wahrnehmung auf diese Weise konditioniert, sieht das Auge überall nur noch Wetterchaos, das mit der Erderwärmung übler wird. Andere Mechanismen geraten aus dem Blick.

Die Sorge kann in Angst übergehen

Wenn sich die Vorstellung verbreitet, das Wetter sei durch den Klimawandel bereits heute ausser Rand und Band geraten – gleichsam so, als sei die globale «Wettermaschinerie» kaputt –, geht die berechtigte Sorge bei manchen Menschen in eine belastende Angst über. Das kann im Extremfall die Entstehung einer psychologischen Störung begünstigen.

Hat sich der Eindruck von Wetterchaos erst einmal verfestigt, nährt jedes Foto von einem Waldbrand oder einem Wirbelsturm den Generalverdacht, die Atmosphäre sei komplett aus dem Takt gebracht und produziere bloss noch Unwetter auf Unwetter. Das fördert das Gefühl eines permanenten globalen Notstands. Man muss sich dann nicht wundern, wenn manche Menschen in ihrer Verzweiflung zu extremen Mitteln greifen.

Die Erderwärmung bringt Probleme genug mit sich. Aus jedem Sturm ein Menetekel zu machen, ist aber keine gute Idee.

291 Kommentare
Michael Warkus

Ein schöner, unaufgeregter Kommentar, der aber leider nur bei denen Gehör findet die sowieso schon einen neutralen, gemäßigten Blick auf das Thema Klimawandel hatten. Das sich das Klima ändert ist m.M. nach sicher  a  b e r   das hat es die letzten Jahrhundertausende schon mehrfach in beide Richtungen getan. Inwieweit der Mensch daran beteiligt ist ist diskutabel, aber nicht auf Basis quasireligiöser Überzeugungen. Dass die Menschen einen Einfluss auf die Erderwärmung in einem Umfang des 1.5°C Zieles haben ist glatte Hybris bzw Unwissen. Dass Deutschland durch die "grüne Politik" den Rest der Welt zur Nachahmung seines wirtschaftlichen Selbstmordes bringt kann nur am Sendungsbewußtsein einiger grüner "Ideologen" im Verbund mit einer teilweise fanatisierten Jugend und getragen von einer "haltungsstarken" Medienlandschaft.

Rupert Wille

Dass unsere "Regierungsmedien"zB die Flut im Ahrtal sofort als Folge des menschengemachten Klimawandels darstellten, obwohl 100 und 200 Jahre zuvor ähnliche Hochwasser auftraten, gehört genau zu dieser verordneten Panikmache!