Gastkommentar

Weltrettung durch Klimapolitik? Illusionen und verborgene Motive des Klimaprotests

Klimaproteste sind symbolische Politik – sie werden die Welt nicht retten und keine neue Gesellschaft formen. Auch wenn die Proteste folgenlos bleiben, so bestätigt man sich doch eigenständiges Handeln, Selbstverwirklichung: Klimaprotest ist ein Identitätsangebot.

Sigbert Gebert 352 Kommentare 5 min
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Mit sozialen Bewegungen sind oft weitreichende Hoffnungen verbunden. Soziologisch gesehen setzen Proteste Themen durch, die in der Gesellschaft keinen oder zu wenig Widerhall finden. Erfüllen sie deshalb aber, wie öfters gefolgert wird, die Funktion eines gesellschaftlichen Immunsystems? Kaum, denn Protestthemen sind nicht von «objektiven» Gefährdungslagen, sondern von der Mobilisierungsfähigkeit abhängig, und Massenmobilisierung ist nur durch einfache Kontrastierungen, nicht bei komplexen Problemen möglich.

Die sozialen Bewegungen der 1980er Jahre, die sich als Friedens- und Ökologiebewegungen empfanden, waren so faktisch eine Anti-Nachrüstung- und Anti-Atomkraft-Bewegung. Nur sie mobilisierten die Massen. Proteste brauchen nicht nur ein Thema, sondern auch einen konkreten Ansatzpunkt: Frieden oder Ökologie waren viel zu allgemein.

Die Proteste endeten denn auch mit der Durchsetzung der Nachrüstung und der Inbetriebnahme oder dem Verzicht auf Atomkraftwerke. Der Klimaprotest leidet darunter, dass kein einziges konkretes Projekt das Klima direkt gefährdet, die Politik das Problem überhaupt nicht leugnet und die nationale Politik, gegen die man demonstriert, selbst bei bestem Willen global wenig bedeutsam ist.

Die Klimaaktivisten machen somit genau das, was sie sonst beklagen: symbolische Politik. Proteste werden schnell zur Routine, bei Protestierenden, Polizei, Politik kennt man die eingespielten Reaktionen, die nur ab und zu durch neue Elemente (Ankleben) ergänzt werden.

Proteste als Selbstverwirklichung

Proteste sind ein modernes Phänomen. In vormodernen Zeiten war man durch Geburt in enge Gemeinschaften eingebunden, die das Leben vorgaben und Sicherheit boten. Diese Sicherheit fehlt heute. Der Einzelne muss selbst sein Leben planen, sich eine eigene Identität schaffen. Aber auch sie braucht eine soziale Bestätigung, die vor allem in der dadurch meist überforderten Liebesbeziehung und in der Arbeit gesucht wird, in der Freizeit aber im Gemeinschaftserlebnis in Szenen.

Eine besondere Art des Gemeinschaftserlebnisses bietet die Politik als «öffentliches Glück» (Hannah Arendt). Allerdings nicht das alltägliche Politikgeschäft mit seinen routinemässigen Verfahren. Das «öffentliche Glück» spielt sich vor allem auf der Strasse ab. Demonstrieren macht Spass, es ermöglicht, vor allem, wenn es zu Ausschreitungen kommt, Heldengeschichten. Das Medienecho bestätigt, dass man bei wichtigen Ereignissen dabei war. Das ist insbesondere für Jüngere und ihre Identitätsbildung von Bedeutung.

Die Proteste werden denn auch vor allem vom «Selbstverwirklichungsmilieu» getragen, von jüngeren Leuten mit höherem Bildungsgrad und «postmaterialistischer» Werthaltung sowie Menschen in sozialen Dienstleistungsberufen. Sie streben individuelle Autonomie an und sind offen für moralische Appelle.

Die Proteste bleiben zwar meist folgenlos, doch bestätigt man sich eigenständiges Handeln, die Selbstverwirklichung. Proteste stabilisieren die eigene Identität (und zugleich das politische System, das Proteste zulässt). In der heutigen Gesellschaft besteht ein latentes Protestpotenzial, das Gelegenheiten, Protestmöglichkeiten nützt. Wo sollte man auch sonst «öffentliches Glück» erfahren?

Von der Sache her sind die Klimaproteste zwar wenig sinnvoll und Weltrettung, eine neue Gesellschaft illusorisch. Aber sich als Avantgarde sehen, war schon immer ein attraktives Identitätsangebot, und dass man sich dabei völlig überschätzt, ist unvermeidlich.

Die psychische Funktion ist den Protestierenden selbst nicht sichtbar: Man kann sich ja schlecht eingestehen, dass eine Hauptmotivation das gemeinsame Handeln, das «öffentliche Glück» und die Identitätsbildung sind. Stattdessen verweist man auf das drängende Klimaproblem und beruft sich auf die Wissenschaft.

Klimaerwärmung als politisches Problem

Die Klimaerwärmung ist Konsens in der Wissenschaft. Die Wissenschafter sprechen ihre Warnungen aus, schlagen Massnahmen vor, müssen sich aber nicht um die politische Umsetzbarkeit ihrer Vorschläge kümmern. Die Politik ihrerseits kann wissenschaftliche Warnungen, die in der Gesellschaft Resonanz finden, nicht ignorieren.

Sowohl sie als auch die Wissenschaft müssen unterstellen, dass Abhilfe möglich ist (so auch der neuste IPCC-Bericht), die Politik zudem, dass sie nicht zu sozialen Verwerfungen führt, dass also Wirtschaft und Klima bei der jetzigen Weltbevölkerung und steigendem Verbrauchsniveau vereinbar, dass wirtschaftliche, ökologische, soziale Nachhaltigkeit zusammen möglich sind.

Die Klimaprotestbewegung nimmt Szenarien nicht als Wissen – das bekanntlich falsch sein kann –, sondern als Gewissheit.

Klimaaktivisten, die davon ausgehen, dass der wachstumsorientierte Kapitalismus die Klimaanpassung verunmöglicht, fordern rigorose Sparmassnahmen und Rationierungen, etwa: keine individuellen Flugreisen oder gar individuelle Autonutzung mehr, wenig oder keinen Fleischkonsum. Selbst wenn man diese ja keineswegs lebensnotwendigen Dinge als entbehrlich ansieht: Wer sollte so etwas umsetzen? Schon an die Landwirtschaft traut sich die Politik heute nur vorsichtig heran.

Die Politik muss den unumstrittenen ökologischen Umbau wirtschaftlich und sozial verträglich gestalten, und die gesellschaftlichen Interessengruppen verfechten unbeirrt den Anspruch an den Staat, ihre Klientel vor allen Belastungen zu schützen. So wird, statt Energiepreissteigerungen als für die erwünschten Einsparungen unumgänglich hinzunehmen, Energie subventioniert, die Exportindustrie darf auch nicht leiden, und die Wirtschaft muss selbstverständlich weiter wachsen.

Die herbeigewünschte oder befürchtete Ökodiktatur ist unter heutigen Bedingungen nicht denkbar: Sie würde an den sozialen «Nebenwirkungen» scheitern. In einer Demokratie kann man keine radikalen Massnahmen ohne Druck von aussen, ohne realen Mangel (wenn nicht genug Energie vorhanden ist, muss man zwangsläufig rationieren) oder Katastrophen durchsetzen – und selbst sie bewirken oft wenig.

Die Politik agiert weniger, als dass sie auf Krisen reagiert. Die vielen Pläne und Handlungsappelle verdecken, dass kein benennbarer Akteur die Entwicklung gezielt bestimmen kann – auch wenn sich nachträglich Ursachen, Absichten, Motive, Handelnde feststellen lassen. Die Politik und mit ihr Proteste brauchen zu ihrer Motivation aber die Gestaltungsillusion, die auch die Gesellschaft weitgehend teilt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse können in der Gesellschaft nur vereinfacht zur Geltung kommen. Insbesondere ihre Verlässlichkeit wird dabei überschätzt, obwohl doch die meisten Prognosen falsch sind, die möglichen Zukünfte immer wieder neu gesehen werden. So passt auch der IPCC ständig seine Szenarien, Prognosen an – was, solange es sich ins Bild einer sich verschärfenden Situation einfügt, als Bestätigung einer eindimensional gedachten Entwicklung genommen wird.

Könnte sich der IPCC überhaupt noch etwas anderes als dringliche Warnungen erlauben? Die Klimaprotestbewegung nimmt Szenarien nicht als Wissen – das bekanntlich falsch sein kann –, sondern als Gewissheit. Gewissheiten sind selbstverständlich, unwiderlegbar, können nicht falsch sein. Weltklimabericht und warnende Wissenschafter gelten dem autoritätsgläubigen Protest als unfehlbar.

Daher die irritierende Selbstgewissheit der Klimaaktivisten, die keinerlei Zweifel an ihrer Mission hegen. Wie der Marxist jede Wirtschaftskrise als Ende des Kapitalismus feiert, gilt dann jede Naturkatastrophe als Zeichen der «Klimakatastrophe».

Alles nicht so schlimm?

Die Klimadiskussion läuft jetzt schon seit Jahrzehnten, und sie hat wenig Neues erbracht. Seit Jahrzehnten wird plausibel argumentiert, dass sich das Wohlstandsniveau der reichen Länder nicht auf die ganze Welt übertragen lasse. Die Zerstörung des Tropenwaldes galt schon vor dreissig Jahren als unumkehrbar. Seit Jahrzehnten wird neben technischen Strategien (Effizienz, Recycling) Suffizienz gefordert, die Umstellung auf eine einfachere Lebensweise, die nicht nur moralisch, aus Gerechtigkeit gegenüber ärmeren Ländern und den Nachkommen, gefordert sei, sondern auch gegenüber dem Massenkonsum ihre Vorteile habe, zu einem gesünderen, besseren, glücklicheren Leben führe.

Ist das alles aber nicht nur eine weitere Variante der altbekannten Verbindung von apokalyptischer Warnung mit der Utopie einer neuen Gesellschaft und folglich nicht so schlimm, wie «Klimaskeptiker» meinen? Nach allen bisherigen Erfahrungen kann man lediglich davon ausgehen, dass die Reaktion auf die Klimaänderung nicht in einer Änderung der Lebensweise bestehen wird.

Ob die technischen Anpassungen sie in einem gesellschaftlich verkraftbaren Rahmen halten werden, ob es zu regionalen Katastrophen ohne grössere Rückwirkung auf andere Regionen kommen wird, ob durch Kipppunkte weltweit Störungen ausgelöst werden – darüber kann man hingegen nur spekulieren, oder wie Niklas Luhmann sagte: «Es geht gut, solange es gut geht.»

Sigbert Gebert ist Publizist, von ihm erschienen ist u. a. das Buch «Die Grundprobleme der ökologischen Herausforderung» (2005).

352 Kommentare
Markus Reichmuth

Einen Dank an die NZZ, dass sie eine solch nüchterne, unaufgeregte Einschätzung publiziert  -  Balsam auf die Identitäts-, Illusions-, Krisen-, Katastrophen-geschundene Seele des Normalbürgers..

M. H.

Ich breche das jetzt mal auf eine einfache Formel herunter: In einer demokratischen Gesellschaft wie die  in Deutschland gilt Proteste ja - Straftaten nein. Damit ist eigentlich alles gesagt. Alles andere wäre Anarchie. Eine Änderung der Staatsform ist von niemanden gewünscht .........außer von den linken und grünen. Also Bürger, Wähler, wehrt euch, jetzt!!