Kommentar

Die Welt braucht neue Einsteins und Darwins: wie die Forschung wieder innovativer werden kann

Forschung und Wissenschaft bringen immer weniger bahnbrechende Erkenntnisse hervor. Das Forschungsmanagement ist längst zum Selbstzweck geworden – auf Kosten der Innovationskraft. Wissenschaft braucht wieder mehr Freiheit.

Eveline Geiser 202 Kommentare 5 min
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Die Wissenschaftspolitik ist in Aufruhr. Der Fortschritt der Wissenschaft verlangsame sich stetig. Zu diesem Schluss kommen Autoren einer Publikation in der renommierten Zeitschrift «Nature», nachdem sie über 25 Millionen wissenschaftliche Artikel und 3,9 Millionen Patente der letzten 60 Jahre ausgewertet haben. Damit haben die Autoren die Innovationskraft der Forschung erstmals umfassend untersucht.

Zwar gibt es nach wie vor wissenschaftliche Durchbrüche. Die Entwicklung der mRNA-Impfung ist ein Beispiel dafür. Doch gemessen daran, wie viele Gelder in Forschung investiert werden, ist die Zahl der grundlegend neuen Entdeckungen zurückgegangen. Die Aussage befeuert die Diskussion darüber, wie Forschung wieder effizient gemacht werden kann.

Gesellschaftliche Herausforderungen rufen nach mehr Innovation

Die neue Studie zeigt, dass ein immer grösserer Teil der Forschungsarbeiten bestehendes Wissen bestätigt und erweitert. Wir wissen schon viel über die Welt, und die naheliegendsten Geheimnisse wurden bereits gelüftet. Und auch diese sogenannten «konsolidierenden» Forschungsarbeiten sind relevant und bringen schrittweise neue Erkenntnisse. Kein Grund zur Sorge also – wären da nicht die drängenden Herausforderungen der heutigen Zeit, auf die die Wissenschaft noch keine Antworten hat.

Wie sollen die Meere als Lebensgrundlage erhalten bleiben? Wie der steigende Energiebedarf der Menschheit gedeckt und gleichzeitig der globale CO2-Ausstoss verringert werden? Wie können wir dereinst ohne wirksame Antibiotika Infektionen bei Menschen und Tieren bekämpfen?

Thomas Kuhn, einer der bedeutendsten Wissenschaftstheoretiker des letzten Jahrhunderts, geht davon aus, dass Innovation nicht linear, sondern in Wellen erfolgt. Aufgrund von Krisen kommt es zu sogenannten Paradigmenwechseln. Zu grundsätzlich neuen Denkweisen in der Wissenschaft.

Einstein läutete mit seiner Relativitätstheorie einen Paradigmenwechsel ein, Darwin mit seiner Evolutionstheorie ebenfalls. Auch die Entdeckung der DNA oder der Mechanismen der Epigenetik war im jeweiligen Forschungsbereich ein Paradigmenwechsel.

Administrative Hürden beeinflussen die Forschung

Wie ein Paradigmenwechsel befeuert werden kann, darüber diskutiert die Wissenschaftspolitik. Geld ist nicht das Problem. Doch sollen Forschungsgelder nun ausschliesslich für Klima- und Energieforschung ausgegeben werden? Oder brauchen Wissenschafter die Freiheit, kreativ und frei von äusseren Zwängen zu forschen? Es braucht wohl beides. Doch im Moment scheitern beide Ansätze an den grossen administrativen Hürden, welche die Forschungspolitik schafft.

Die heutige Politik folgt bei der Verteilung von Forschungsgeldern meist drei Grundsätzen: Forscherteams sollen interdisziplinär aufgestellt sein – um Innovation zu fördern. Die Koryphäen auf dem jeweiligen Gebiet sollen an der Forschung beteiligt sein – um Exzellenz zu fördern. Und um unabhängige Forscherpersönlichkeiten heranzuziehen, setzt man auf geografische Vielfalt in deren Vita.

Wie und wann die obigen Kriterien bei einem bestimmten Forschungsprojekt erfüllt sind, wird von einer Vielzahl von Administratoren eingehend geprüft. Detailreiche Kriterien werden formuliert und je nach Förderinstrument unterschiedlich umgesetzt.

Die Fragen, ob die richtigen Experten mit an Bord sind, das Projekt interdisziplinär genug ist sowie formale Forderungen wie ein richtiger Plan für einen «Technologietransfer» erfüllt sind und dergleichen beschäftigen Forschende monatelang. Und oft ist die Vielzahl von Vorgaben kaum zu durchschauen.

Bereits hat sich eine Art «Support-Industrie» entwickelt. Administratoren beraten Forschende darin, wie, wann, mit wem, wo welche Art von Forschungsgeldern zu erhalten ist. Die Notwendigkeit dieser Dienstleistung zeigt, wie stark reguliert die Forschungspolitik bereits ist.

Das Ziel, Innovation und Exzellenz zu fördern, ist unbestritten. Doch immer häufiger werden die Forschungsfragen und gar die Forschungsmethode durch diese formalen Kriterien, die Forschungsprojekte erfüllen müssen, beeinflusst, gesteuert und manchmal auch eingeschränkt.

Zudem ist die Beurteilung der Anträge aufwendig und zeitintensiv. So kann es zwei Jahre dauern, bis die Forscher wissen, ob ein Projekt finanziert werden kann oder nicht. Manchmal ist es dann schon nicht mehr aktuell und wird doch durchgeführt. Weil das Geld da ist und zweck- und projektgebunden gesprochen wurde. Ein Leerlauf und Zeitverlust.

Kleinteiliges Expertenwissen verhindert Innovation

Doch die administrativen Verluste sind nicht das einzige Problem. Die Analyse der Innovationskraft in «Nature» legt nahe, dass auch die Kriterien der Forschungsförderung der letzten zwanzig bis dreissig Jahre nicht mehr zielführend sein könnten.

Die Autoren sehen den Grund für die reduzierte Innovationskraft darin, dass sich einzelne Wissenschafter auf eine immer engere Spannbreite von wissenschaftlichem Vorwissen beziehen.

Es dauert Jahre oder gar Jahrzehnte, bis sich ein Forschender Expertenwissen angeeignet hat. Doch warum bleiben viele danach dreissig Jahre lang ausschliesslich Experte für ein ganz kleines Forschungsgebiet? Wahrscheinlich ist, dass die bestehenden Strukturen dafür verantwortlich sind.

Das zeigt beispielsweise der Fall eines Forschers, der auf eine Stiftungsprofessur zu einem Themenbereich gesetzt wurde. Die Universitätsleitung sah in ihm den idealen Kandidaten. Projektmittel hatte er keine. Seine Anträge wurden abgelehnt, da er bisher nicht in diesem Bereich gearbeitet hatte. Ein Leerlauf – weil die notwendige Expertise für ein Forschungsprojekt unterschiedlich eingeschätzt wurde.

Mikromanagement führt zu Leerläufen

Und schliesslich kann auch die «ideale» Forscherlaufbahn im Einzelfall eben anders aussehen, als es die Forschungsmanager auf dem Papier sehen. So sehen sich Wissenschafter manchmal gezwungen, an eine Universität mit schlechterer Infrastruktur zu wechseln, weil Geldgeber befürchten, sie arbeiteten sonst nicht unabhängig – beispielsweise weil der Doktorvater sie weiterhin für seine Zwecke einspannt. Ob das im Einzelfall stimmt, bleibe dahingestellt. Sehr oft gelingt gute Forschung nur mit der notwendigen Infrastruktur.

Die bestehenden Grundsätze der Forschungsförderung, Expertise, Interdisziplinarität, Unabhängigkeit, scheinen zwar intuitiv sinnvoll. In ihrer Umsetzung treiben sie mitunter aber seltsame Blüten. Weniger Mikromanagement und mehr Vertrauen in diejenigen, die ihr Leben der Wissenschaft widmen, wäre angebracht.

Die Forschungspolitik muss wissenschaftlicher denken

Warum und wie im Einzelfall gute Forschung möglich wird, hängt von vielen Faktoren ab. Doch erstaunlicherweise ist nicht einmal klar, ob die in der Forschungspolitik angewandten Kriterien im Durchschnitt, über alle Forschungsbereiche hinweg, Innovation fördern. Empirisch untersucht wurde dies nie.

Dabei könnte Forschungspolitik ähnlich wie die Wissenschaft evidenzbasiert vorgehen. Dieser Ansatz wird heute gerne unter dem Begriff der «Meta-Wissenschaft» gefasst. Dieser ist noch kaum verbreitet.

Welche Forschungsprojekte waren auch nach zehn Jahren noch erfolgreich? Wie und aufgrund welcher Kriterien wurde damals entschieden? Solche Daten gibt es kaum. Ihre Auswertung könnte ernüchternd sein. Beispielsweise, wenn sich herausstellt, dass die Entwicklerin der mRNA-Impfung mit ihren Projekten jahrelang unterfinanziert war. Gut möglich, dass bei deren Beurteilung wenig zielführende Kriterien angewandt wurden.

Bis dieser neue metawissenschaftliche Ansatz Ergebnisse zeigt, muss sich die Wissenschaftspolitik auf Annahmen verlassen. Und um die Innovation zu beflügeln, bleibt Administratoren und Politikern eigentlich nur eines: Sie sollten die Forscher an einer längeren Leine lassen und sie nicht mit kräftezehrendem administrativem Ballast von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten.

202 Kommentare
Martin Waltermann

Das Problem fängt bereits in der Grundschule an: In der Zürcher Schulbibliothek meiner Tochter ist ein kleiner Schrein aufgebaut mit Büchern über besonders wichtige Menschen. Nein, hier stehen nicht Albert Einstein oder Charles Darwin. Hier stehen Greta Thunberg, Martin Luther King und ein paar Quotenfrauen, dir niemand kennt, die aber unsere Mädchen inspirieren sollen. Will eigentlich noch irgendwer etwas aus unseren Jungs machen? Die nächste Generation ist wegen linksradikaler Pädagogik bereits verloren, Asien wird uns überholen.  

Harald George

Einstein und Darwin würden heute in Amerika und insbesondere in D vermutlich keine Professur bekommen, schlimmer noch, sie würden es garnicht mehr wollen.