Kommentar

Der Staat wildert in der Privatwirtschaft – und die Politik schaut weg

Wird der Staat zum Konkurrenten, fehlen meist Regeln der Fairness. Diese Erfahrung machen Gewerbebetriebe und KMU landauf, landab. Der Bund foutiert sich darum, öffentlichen Unternehmen klare Leitplanken zu setzen.

David Vonplon
Drucken

Peter Gut

An der Börse sorgt der Energiekonzern BKW für Furore. Erst diese Woche kletterte der Aktienkurs auf einen Höchstwert. Die Anleger honorieren, dass sich das Unternehmen unter der Chefin Suzanne Thoma vom traditionellen Stammgeschäft, der Produktion und Vermittlung von Strom, als Haupteinnahmequelle loslöst und aggressiv in neue Märkte vorstösst.

In der Politik ist das Unternehmen, das der Kanton Bern zu 52 Prozent besitzt, weniger gut angeschrieben. Der Berner Regierungsrat muss nach einem Entscheid des Grossen Rates prüfen, ob das Unternehmen aufgespalten werden soll. Noch vor gut zwei Jahren hat das Kantonsparlament dieselbe Forderung deutlich verworfen. Mittlerweile hat der Wind gedreht. Es sieht so aus, als sei die Politik bereit, bei der BKW zum Äussersten zu gehen. Die Abspaltung des privatwirtschaftlichen Dienstleistungsgeschäfts eines Unternehmens auf Geheiss eines Parlaments wäre ein Novum in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte.

Heikle Strategie der BKW

Dass sich die politische Grosswetterlage in Sachen BKW so stark verändert hat, zeigt, wie gross der Ärger ist, der sich im Kanton über das Gebaren des Staatsbetriebs aufgestaut hat. Seit Jahren klagt der lokale KMU-Verband unter dem Slogan «Fair ist anders» über den aggressiven Expansionskurs des Energieversorgers. Gegen 90 Handwerksbetriebe und KMU hat das Unternehmen in den letzten sechs Jahren aufgekauft. Erst vergangene Woche gab das Unternehmen die Akquisition eines Elektroinstallations- und eines Gebäudetechnik-Betriebs bekannt. Mit den Tochterfirmen macht der Konzern den privat geführten KMU das Geschäft streitig: Die BKW installiert – weit über die Kantonsgrenzen hinaus – Heizungen, verrichtet Spenglerarbeiten und ist planerisch gar im Brücken- und Städtebau tätig.

Die Kritiker aus dem Gewerbe monieren, die Hunter-Strategie des Unternehmens sei nur dank den Gewinnen aus dem Stromversorgungsmonopol möglich gewesen. Auch verletze die BKW die Standesregeln der unabhängigen Planung: Es sei Alltag, dass Planungs- und Ingenieurbüros im Besitz der BKW Ausschreibungen durchführten und die Aufträge dann an Tochtergesellschaften vergäben. Künftig soll auch dies von der Politik unterbunden werden. Die BKW hält fest, sie verdiene im Monopolbereich nur beschränkt Geld – ausserdem würden diese Gewinne grösstenteils für Investitionen und Unterhalt im Netz- und Energiebereich verwendet.

In Bern machen bürgerliche Politiker nicht nur gegen die BKW mobil. Auch beim kantonalen IT-Unternehmen Bedag muss der Regierungsrat eine Zerschlagung der Firma mit 370 Angestellten abklären, nachdem private IT-Dienstleister sich über die unfaire staatliche Konkurrenz beklagt haben. Ebenfalls hat der Regierungsrat bei der Gebäudeversicherung des Kantons Bern (GVB) Rechenschaft zum Geschäftsgang abzulegen. Das Unternehmen, das zu 100 Prozent im Besitz des Kantons ist, profitiert von einem sicheren Monopol – jedes Haus im Kanton ist obligatorisch bei der GVB versichert. Zugleich bieten Tochterfirmen unter der gleichen Dachmarke Zusatzversicherungen an. Privatversicherer kritisieren, dass Berater des öffentlichen Versicherers den Monopolkunden systematisch Angebote für Zusatzversicherungen unterbreiteten.

Man würde sich wünschen, dass die Konkurrenzierung der KMU-Wirtschaft durch Staatsbetriebe unter der Kuppel des Bundeshauses ähnlich kritisch verfolgt würde wie im Kanton Bern. Denn die Wettbewerbsverzerrungen, welche durch staatsnahe Unternehmen entstehen, sind nicht bloss ein lokales Problem: Landauf, landab drängen Staatsbetriebe in Gefilde, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. Dabei profitieren sie von Steuerbefreiungen und Ausnahmeregelungen. Für die Post etwa gilt das Nachtfahrverbot nicht, die SBB profitieren von längeren Ladenöffnungszeiten. Ebenso erlauben Staatsgarantien den öffentlichen Unternehmen, günstiger Geld aufzunehmen. Schliesslich nutzen öffentliche Unternehmen häufig ihre Monopolstellung aus. Energieversorger verwendeten Adressdaten von Monopolkunden, um nebenher Duschbrausen zu verkaufen. Und Postauto baute sein Veloverleihsystem wohl mit Geldern aus subventionierten Geschäftsfeldern auf.

Trotzdem ist beim Bund kein Wille erkennbar, staatlichen Betrieben klare Leitplanken zu setzen, wenn sie in der Privatwirtschaft wildern. Zwar räumte der Bundesrat vor zwei Jahren in einem Bericht ein, dass der Wildwuchs bei den staatsnahen Betrieben ein Problem darstelle. Es bestehe die Gefahr, dass Staatsunternehmen KMU aus dem Markt drängen würden. Geschehen ist dann jedoch nichts.

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Parlament. Zwar reichten gewerbefreundliche Politiker eine Vielzahl von Vorstössen ein, welche die Wettbewerbsverzerrungen durch staatsnahe Unternehmen zum Gegenstand haben. Doch Mehrheiten erzielte keiner davon. Erst diese Woche sprach sich die Wirtschaftskommission des Ständerats gegen einen Vorstoss aus, der gleich lange Spiesse im Wettbewerb zwischen privaten und staatlichen Anbietern fordert. Der Grund: Staatsbetriebe bescheren Bund, Kantonen und Gemeinden üppige Dividenden. Deshalb scheuen Politiker davor zurück, ihnen engere Fesseln anzulegen.

Verstaatlichung der Wirtschaft

Weil die Politik die Hände in den Schoss legt, können Staatsbetriebe mit ihren Einkünften weiterhin nach Belieben dem ordnungspolitischen Wildwuchs frönen. Das birgt die Gefahr einer schleichenden Verstaatlichung etlicher Wirtschaftszweige. Bereits heute ist die Swisscom die grösste Kinobetreiberin der Deutschschweiz, die SBB sind eine der mächtigsten Immobilienanbieterinnen des Landes, die Post gehört zu den umsatzstärksten Verkäuferinnen von Büromaterial.

Wollen sich private Unternehmen gegen die ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile von Staatsbetrieben wehren, sind sie praktisch machtlos. Es fehlen griffige gesetzliche Vorgaben, die private Anbieter vor Wettbewerbsverzerrungen durch öffentliche Unternehmen schützen, wie der Jurist Phil Baumann in einer vor kurzem publizierten Dissertation zur Problematik festhält. Gewisse sektorielle Erlasse befassen sich zwar mit potenziellen Wettbewerbsverzerrungen. In anderen Gesetzen sucht man allerdings vergeblich nach entsprechenden Vorgaben. Auch fehlt der Wettbewerbskommission das Rüstzeug, um zu verhindern, dass Staatsbetriebe den KMU auf die Füsse treten. Die Behörde kann nur dann aktiv werden, wenn sich die Wettbewerbsverzerrungen in einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch das öffentliche Unternehmen manifestieren.

Führungskräfte von Staatsbetrieben betonen jeweils, die Wettbewerbsverzerrungen seien nicht so gravierend. Oder sie werfen ein, dass sich die Problematik nur mit unverhältnismässig grossem bürokratischem Aufwand aus der Welt schaffen liesse. Beide Argumente sind nicht stichhaltig. Das Ausmass privatwirtschaftlicher Staatstätigkeit mag hierzulande geringer sein als in den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich und Italien. Ein Randphänomen ist sie aber mitnichten: In der Schweiz gibt es rund 900 öffentliche Unternehmen. Zwischen 50 und 80 Prozent von ihnen bieten laut Schätzungen auch ausserhalb des Grundversorgungsangebots Dienstleistungen an – und konkurrenzieren damit private Anbieter direkt.

In welch eklatanter Weise sie zuweilen gegen die Wettbewerbsneutralität verstossen, zeigt das Beispiel der Industriellen Werke Basel (IWB). Das Energieunternehmen bezahlt aufgrund seiner Rechtsform im Kanton Basel-Stadt weder kantonale noch kommunale Steuern. Zugleich wird das Unternehmen durch das Gesetz dazu ermächtigt, diverse privatwirtschaftliche Leistungen wie Internet und Telefonie anzubieten – in einem hart umkämpften Markt mit niedriger Marge ein entscheidender Vorteil gegenüber privaten Konkurrenten. Mit der Steuerbefreiung wird indes auch der Wettbewerb mit anderen öffentlichen Unternehmen verfälscht.

Das Beispiel der IWB zeigt, dass kantonale Regelungen allein nicht ausreichen, um das Problem der Wettbewerbsverzerrungen zu lösen. Denn offenbar wollen gewisse Kantone ihre öffentlichen Unternehmen im Wettbewerb mit ausserkantonalen Anbietern privilegieren. Die bestehenden Steuerprivilegien könnten mit einer Änderung der Rechtsform vieler Unternehmen einfach und unbürokratisch behoben werden – genauso wie die meisten anderen unlauteren Vorteile für die Staatsbetriebe auch.

Privatisierung ist der beste Weg

Die Politik sollte deshalb endlich ihre Zurückhaltung ablegen – und sich nicht länger darauf beschränken, den Staatsbetrieben Rentabilitätsziele vorzuschreiben, ohne das Problem der Wettbewerbsverzerrungen an der Wurzel zu packen. Die eleganteste Lösung wäre, privatwirtschaftliche Tätigkeiten von Staatsbetrieben privaten Investoren zu übergeben. Wie das geht, macht der Bund derzeit bei der Entflechtung der Ruag vor, die heute mehr Technologieunternehmen denn Rüstungskonzern ist.

Wo eine Privatisierung nicht opportun ist, muss die Politik Regeln definieren, die für einen fairen Wettbewerb sorgen. Das bedeutet zuallererst, dass privatwirtschaftliche Tätigkeiten strikte von den öffentlichen Aufgaben getrennt werden. Zugleich müssen Quersubventionierungen verboten und sämtliche steuerlichen und regulatorischen Privilegien aufgehoben werden. Schliesslich darf den Staatsbetrieben vom Gemeinwesen nur zu marktüblichen Konditionen Kapital für ihre privatwirtschaftlichen Vorhaben gewährt werden. Wo sich Wettbewerbsverzerrungen nicht verhindern lassen, sollten öffentliche Unternehmen dazu gezwungen werden, diese finanziell abzugelten.

Geschieht dies nicht, zahlen KMU und Gewerbebetriebe in diesem Land den Preis dafür. Sie laufen Gefahr, über kurz oder lang von Staatsbetrieben aus dem Markt gedrängt zu werden. Die schleichende Verstaatlichung der Wirtschaft wird ungehindert fortschreiten.